Langenecks Welt

Wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Diener sein – Predigt zu Markus 10, 35-45

I. Immer erster sein

Erster!  

Triumphschrei in der Küche.  
Zwei wilde Jungs kämpfen um den ersten Platz am Tisch.  
Heute gibt es Pfannkuchen.  
Ihr Lieblingsessen. 

Erster sein.  

Es steckt den Menschen in den Knochen:  
Selbst im Dorf von Asterix und Obelix wird der Erste, der Chef Majestix auf einem Schild getragen und überragt dadurch – sofern er nicht, wie so oft, herunterfällt – alle anderen.  

Erster sein – darin vermuten Menschen seit jeher Segen: 
Jakob erlangt mit einer List und mütterlicher Hilfe das Recht des Ersten auf den väterlichen Segen.  

Eltern nehmen viel Mühen auf sich, damit ihre Kinder zu den »Ersten« gehören:
Damit sie auf die angeblich »höhere« Schule gehen können.
Denn später werden nur die »Ersten« eines Jahrgangs die beliebtesten Studienplätze, die besten Ausbildungsplätze bekommen. 

Die Ersten auf dieser Welt haben meine Anerkennung für ihren Einsatz und ich möchte nicht mit ihnen tauschen.  
Regierungschefinnen und Regierungschefs sind zwar die »Ersten« ihres Landes, aber ihre Freude über die Erst-Platzierung wird nach der Wahl schon bald vergessen sein angesichts der Verantwortung und der Belastungen. 

Dennoch – und angesichts unserer Demokratie sage ich »Gottseidank« – gibt es Menschen, die auf die ersten Plätze wollen und Verantwortung übernehmen in der Leitung von Schulen oder Firmen oder eben in der Politik. 

II. Wer hat Führungsqualitäten

Welche Charaktereigenschaften man dafür haben sollte, darüber gibt es eine Erzählung in der Bibel:  
(Lesung des Predigttextes: Mk 10,35-45

Führungsqualitäten hat, wer dienen kann – in den Augen Jesu. 

Darum heißen Minister übersetzt nichts anderes als »Diener«, Staatsdiener: sie dienen den Menschen in diesem Land.  
Wenn die »Ersten« in der Politik, die gewählten Ersten beim »Händeaufhalten« erwischt werden, leidet die Demokratie:
Das Vertrauen der Menschen in ihre politischen Vertreter und Vertreterinnen verschwindet. 

Wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Diener sein.  

In der Kirche Jesu Christi hat das Dienen Tradition: 
Nicht nur in der katholischen Kirche gibt es Mönche und Nonnen im Dienst der Nächstenliebe.  
Auch in der evangelischen Kirche gab und gibt es Menschen, die um »Gotteslohn« arbeiten:  
Ehrenamtlich. Aber auch hauptberuflich:  

»Mein Lohn ist, dass ich dienen darf« – das ist der Leitspruch der Diakonissen.  
Bei ihrer Einsegnung erklären die Frauen im schwarzen Kleid und weißer Haube: »Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.«  
Die Hand haben sie nur aufgehalten, damit ein anderer die seine hineinlegen konnte. 

Sichern solche Lebensmodelle den besten Platz im Himmel?
Die Diakonissen und die vielen in der Kirche in pflegerischen Berufen würden das – glaube ich – weit von sich weisen.  

Wieso steht dann dieser seltsame Streit um die besten Plätze neben Jesus in der Bibel? 

III. Links und Rechts von Jesus

Schauen wir noch einmal genau hin:  

Zwei Brüder beim Kampf um die ersten Plätze im Himmel.  
Wie Kinder fragen sie Jesus heimlich, ob er ihnen etwas versprechen könnte.  
Und wie Eltern, die solche Fragen von ihren Kindern kennen, fragt Jesus erst einmal zurück, was sie denn wollten. – 
»Neben dir sitzen!«
Ich finde, das ist doch eine ganz normale Frage für Kinder.  
Das drückt doch ihre Zuneigung und Liebe aus. Und Platz wäre da für jeden der beiden Brüder:  
Links und rechts von Jesus. 

Sie malen sich das bestimmt schön aus:  
Wie sie da am Tisch im Reich Gottes sitzen, an der Längsseite, dort wo immer der Ehrengast sitzt.  
Und rechts und links schmiegen sie sich an Jesus, schauen zu ihm auf und – manchmal auf die anderen am Tisch mit diesem leisen Triumph in den Augen:  

Erster bei Jesus, ihm ganz nah.
Sie wären auch bereit, sagen sie, etwas dafür zu tun:  
In die Nachfolge,  
in die Leidensnachfolge Jesu einzutreten,  
den Kelch zu trinken, den er zu trinken hat und  
sich taufen zu lassen mit der Taufe, mit der Jesus getauft wird.  

Sozusagen die Feuertaufe zu bestehen, den Test, ob sie es wirklich ernst meinen mit ihrer Liebe. 

Das ist viel.  

Mehr als wir uns wahrscheinlich zutrauen würden, wenn wir wählen müssten zwischen Christusbekenntnis und Leben.

IV. Geschichte des Christentums

Ich stelle mir vor, wie man sich in den ersten christlichen Gemeinden Gedanken darüber gemacht hat: 
Was passiert, wenn man wegen seines Glaubens sterben muss, wenn man den gleichen Kelch trinken muss wie Jesus?
Ob man so standhaft sein wird, so glaubensstark? 

Und ich stelle mir vor, wie sich nach den ersten Verfolgungen die Christen gefragt haben:  
Wo sind die Verstorbenen, die Märtyrer um Christi willen jetzt?
Ob der oder die jetzt einen Platz an der Sonne haben, nach der Finsternis der grausamen Todesstunden?
Wer von ihnen bekommt den Platz neben dem Herrn?

In der Geschichte des Christentums hat sich dann daraus die Heiligenverehrung entwickelt und später die Vorstellung, dass man zu Gott, zu Jesus nur vordringen könne durch die Fürbitte dieser Heiligen.  

Die Reformatoren lehnen – biblisch begründet – diese Vorstellung ab.  
So ist es nachzulesen im Augsburger Bekenntnis.

Schon Jesus weist die Bitte ab:  
Zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben, steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.  
Die Sitzordnung im Reich Gottes bestimmt ein anderer, sie wird auch erst noch erstellt. 

V. Ein Witz

Weil das so ist, gibt es so viele gute Witze, die sich am Eingangstor zum Himmel abspielen:  
Ein Pfarrer und ein Busfahrer kommen nach ihrem Tod gleichzeitig an die Himmelspforte.
Petrus öffnet ihnen, schaut sich die beiden genau an.
Dann lässt er den Busfahrer eintreten, der Pfarrer muss draußen warten.  
»Ich hör’ wohl nicht recht”,  
beschwert sich der Pfarrer:  
»Jetzt habe ich mein ganzes Leben in der Kirche verbracht und lange Predigten gehalten und komm noch nicht mal als Erster in den Himmel?«  
»Tja, weißt du«, sagt Petrus: »bei deinen Gottesdiensten haben die Leute geschlafen, aber bei ihm im Bus haben alle gebetet!« 

Die Kirchenmitgliedschaft allein ist kein Reservierungsticket für den besten Platz im Himmel. 
Und ein kirchliches Amt ist sicherlich kein Freifahrschein in den Himmel.

VI. Fazit

Dreihundert Jahre nach der kindlichen Frage der beiden Jünger wurde das ganze römische Reich zum christlichen Abendland.  
Aus den verfolgten Nachfolgern Jesu wurden Fürsten und Fürstbischöfe.  
Aus Jüngern Jesu wurden Machthaber mit Unterdrückungsmethoden, und auch in der Kirche gab und gibt es bis heute Täter und Dulder von Missbrauch an Leib und Seele.

Die Mahnung Jesu gilt bis heute.  

Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.  

Jesus holt die beiden Jünger von ihren Himmelsträumereien zurück in die Gegenwart.  
Statt über Plätze im Himmelreich zu spekulieren, sollen sie sich einen Platz in der Welt, in der Nachfolge Jesu suchen. 

Und das heißt:  
Schluss mit den Rangeleien um die ersten Plätze.  
Wer nach oben will, muss sich um die unten kümmern; 
und wer oben ist, soll nicht nach unten treten:  
Sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.  

Amen.

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