Langenecks Welt

Vom verlorenen Garli, Schafen, Silberstück und anderen Dingen – Predigt zu Lukas 15,1–10

Predigttext zu Lukas 15, 1-10

Vom verlorenen Garli

Die kleine Miriam liegt im Bett und kann nicht schlafen. Ihr Garli ist nicht da.
Diese Stoffpuppe, die sie seit der Geburt begleitet. Heiß geliebt, das ist dem Garli auch anzusehen.
Doch nun ist er weg. Miriam kann ohne ihren Garli im Arm nicht einschlafen. Sie fängt an zu weinen obwohl Papa am Bett sitzt und sie zu trösten versucht.

„Garli, mein Garli, wo bist du?“ schluchzt sie. „Ich schau nach dem Garli!“ versucht der Vater sie zu beruhigen.

Er sucht im Kinderzimmer unter der Kleidung, die Miriam ausgezogen hat. Er schaut unter dem Bett nach. In der Spielkiste. Ist der Garli vielleicht im Bad vergessen worden – nein, leider nicht.
Wo kann er nur sein – jetzt wird auch der Vater leicht unruhig. „Was mache ich, wenn ich ihn nicht finde?“ „Wo kann er nur sein?“

Nirgends ist der Garli zu finden. Miriam wird immer verzweifelter.

Endlich wird der Vater fündig: Unter dem Küchentisch. Dort hat ihn Miriam nach dem Abendessen liegen gelassen.

Überglücklich nimmt Miriam den Garli in den Arm. Ein letzter Schluchtzer und dann kann sie endlich überglücklich einschlafen.

„Vom Suchen, finden und sich freuen“ erzählen die beiden Gleichnisse, die Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten vor Augen stellt.
Es hat sich herumgesprochen, dass Jesus Sünder annimmt und mit ihnen isst. Die Pharisäer und Schriftgelehrten, die zu ihm gekommen sind, dulden das nicht. Ihrer Meinung nach verstößt Jesus mit seinem Verhalten gegen die Gesetze der Tora.
Jesus stellt die Tora nicht in Frage, er hinterfragt das Bild, das sie von Gott haben.

Im ersten Gleichnis geht es um einen Hirten, der eines von seinen hundert Schafen verloren hat.
Der Hirte macht sich auf die Suche, scheut keine Mühe und sucht solange, bis er es findet. Als er es gefunden hat, nimmt er es auf die Schulter und trägt es nach Hause zu den anderen
neunundneunzig Schafen. Die Herde ist wieder komplett. Die Freude des Hirten ist groß.
Erfreut läuft er zu seinen Freunden und Nachbarn. Sie sollen sich mit ihm freuen, dass er sein verlorenes Schaf wieder gefunden hat.

Vom verlorenen Schaf

1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet?
5 Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude.
6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.
7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Lutherbibel 2017 – Lukas 15, 1-7

Im zweiten Gleichnis erzählt Jesus von einer Frau, die einen Silbergroschen verloren hat.
Eifrig sucht sie das Geldstück. Als sie es in ihrem dunklen fensterlosen Haus nicht finden kann, zündet sie ein Licht an, leuchtet jede dunkle Stelle aus, nimmt einen Besen zur Hand und fegt in allen Ecken. Endlich hört sie ein Klirren, die Münze kommt zum Vorschein.
Beglückt nimmt sie das wieder gefundene Geldstück in die Hand und teilt ihre Freude mit ihren Freundinnen und Nachbarinnen.

Vom verlorenen Groschen

8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet?
9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.
10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Lutherbibel 2017 – Lukas 15, 8-10

Wer etwas wiederfindet, hat zuvor etwas verloren. Dem Finden geht ein Verlust voraus.
Der Hirte hat ein Schaf verloren, die Frau ein Silberstück.

Das Schaf ist dem Hirten wichtig. Er lässt für das eine Schaf neunundneunzig andere zurück.
Die Drachme ist der Frau wertvoll, sie setzt viel Energie dafür ein, dass sie dieses Geldstück wiederfindet.

Warum ist dem Hirten das eine Schaf so wichtig?
Warum der Frau das Silberstück?

Das eine Schaf vermehrt kaum den Gesamtwert der Herde.
Vielleicht möchte der Hirte nicht, dass ihm auch nur eines fehlt.
Vielleicht gehört er noch zu den Hirten, die jedes einzelne Schaf kennen und eine Beziehung zu ihren Tieren haben.
Solch ein Hirte ist unglücklich, wenn auch nur eines verloren geht.
Solch ein Hirte ist in Sorge. Was kann dem Tier nicht alles passieren?
Getrennt von der Herde wird es nicht überleben. Wilde Tiere werden es reißen, wenn er es nicht rechtzeitig findet.
Womöglich hängt es in einer Felsspalte fest, kann sich aus eigener Kraft nicht befreien.

Ein guter Hirte leidet mit, wenn auch nur einem einzigen Tier etwas zustößt.

Und wie ist es mit dem Silberstück?
Der materielle Wert des Geldstückes schwankte in der Antike.
Es ließen sich mit Silberstücken ein Ochse erwerben.
Drohte eine Inflation, verlor die Drachme an Wert, es wurde das Silber gestreckt.
Im alten Orient kann das Geldstück auch ein Teil der Mitgift oder des Brautschmuckes einer Frau sein.

Der Frau ist das Silberstück wichtig, sonst würde sie nicht so akribisch mit großem Aufwand suchen. Selbst wenn der materielle Wert der Münze gering sein sollte, hat er ideelle Bedeutung.

Das ist wie mit dem Garli des kleinen Mädchens, das ohne seine Puppe nicht einschlafen kann. Der Garli hat keine Bedeutung, weil er materiell einen großen Wert darstellt. Der Garli hat Bedeutung, weil er dem Kind am Herzen liegt.

Wer auf die Suche geht, hat etwas verloren. Es gibt Verluste, die sind nicht schwerwiegend, sie sind einfach nur ärgerlich. Es gibt aber auch Verluste, die lösen großen Schmerz aus.

Vom verlorenen Menschen

Da ist Thomas, ein Mann in unseren Tagen. Thomas hat seine Frau verloren. Nicht, dass sie gestorben ist, nein, sie hat ihn verlassen. Nach nur 7 Jahren möchte sie die Ehe mit Thomas beenden.
Er ist fassungslos und verletzt. Es reißt ihm den Boden unter den Füßen weg.

Sie haben sich ein gemeinsames Leben aufgebaut, haben Kinder bekommen, hatten Pläne für die Zukunft.
Wie werden die Kinder die Nachricht aufnehmen?
Was soll er seiner Schwester sagen, seinen Arbeitskollegen, was den Verwandten und dem Bekanntenkreis?
Thomas ist verstört und völlig aus der Bahn geworfen.
Es zerreißt ihm das Herz. Seine Liebe möchte ihn verlassen. Seine Gedanken überschlagen sich und lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.

Wie soll er weiterleben? Wo soll er nun wohnen? Was wird aus den Kindern?
Thomas hätte nie geglaubt, dass er je in eine solche Situation kommen könnte. Ihre Ehe war ihm immer ein stabiles Fundament gewesen. Ja, es hatte die eine oder andere Schwierigkeit gegeben, das konnte er nicht leugnen. Aber er hatte nie das Gefühl gehabt, dass er je in eine solche Situation kommen könnte
„Hast du einen anderen?“, war seine erste Frage. „Ich mochte noch einmal Schmetterlinge im Bauch fühlen.“, war die Antwort. Sie bräuchte einen Neuanfang.
Neuanfang, das kann Thomas nachvollziehen, das will er auch. Wenn er zurück denkt, so muss er sich eingestehen, dass die letzten Jahre nicht harmonisch waren.

Auch er möchte einen Neuanfang aber mit ihr.
Thomas wendet seine ganze Kraft auf, um seine Frau zu bewegen, sich auf einen gemeinsamen
Neuanfang einzulassen. „Es gibt immer Möglichkeiten“, versucht er sie zu überzeugen: „Du musst nur wollen.“ „Nein“, hat sie gesagt „ich sehe keinen Sinn darin.“ Sie ist konsequent.

Mit der Zeit merkt Thomas, dass er verloren hat.
Seine Bemühungen sind gescheitert. Er wird Sie nicht zurück gewinnen können.
Thomas fühlt sich verlassen und allein.
Er fühlt sich wie das verloren gegangene Schaf oder wie das Silberstück, das auf
dem Boden liegt.

Es gibt Geschichten vom Verloren-Haben und vom Verloren-Sein.
Nicht jeder Kraftaufwand führt zum Erfolg.
Nicht immer ist am Ende Freude über Verlorenes, das wieder gefunden worden ist.
Nicht immer wird am Ende alles gut.

In den beiden Gleichnissen vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Geldstück gibt es ein Happy-End.
Die beiden Gleichnisse gehen deswegen gut aus, weil Gott selbst der Hirte ist, der die Seinen nicht im Stich lässt.
Gott selbst ist die Hausfrau, die unermüdlich sucht und nicht aufgibt, bis sie das Geld wiederfindet.

Worauf sollen wir bauen, wenn unsere Bindungen sich auflösen?
Wo sollen wir hin, wenn wir schutzlos umherirren?
Wem können wir vertrauen, wenn wir am Boden liegen?

Sicherlich auf Gott und seiner Hilfe.
Gott lässt von den Seinen nicht. Wir gehören zu ihm.

Wenn wir verloren gehen, geht er uns nach.
Er sucht solange, bis er uns findet. Gott gibt uns nicht auf, auch wenn wir uns aufgegeben haben.
Wie der Hirte sich das verlorene und womöglich verletzte Schaf auf die Schulter legt und es nach Hause trägt, so trägt Gott uns, wenn wir verletzt sind.
Wie die Frau jede Ecke ausleuchtet und das Silberstück findet, so überlässt Gott uns nicht der Dunkelheit.
Wie die Frau das Silberstück aufhebt, so hebt Gott uns auf, wenn wir am Boden liegen.

Vom Finden

Gott kommt, um das Verlorene zu suchen und das Verletzte zu verbinden, so wie Jesus, der gesagt hat: „Ich bin gekommen, das Verlorene zu suchen und das Verirrte zurück zu bringen.“ (vgl. Lk 19,10)

Manche Pharisäer und Schriftgelehrte verurteilen Jesus.
„Er nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“, werfen sie ihm vor.
Sie haben nicht verstanden, dass er ihnen ihre Bemühungen, nach Gottes Geboten zu leben, nicht klein redet.
Sie haben nicht verstanden, dass Jesus möchte, dass sie nicht auf andere Menschen herabblicken, die das nicht so erfolgreich praktizieren wie sie.

Er will ihnen sagen: „Ihr habt es doch gar nicht nötig, euch über andere zu erheben“.
Gott hat neunneunzig Gerechte eben so lieb wie einen, der verloren war und wieder gefunden ist. Das eine Schaf bedarf in der Not Gottes besonderer Hilfe, die neunundneunzig kommen im Moment ohne ihn aus. Sie bleiben ja nicht ganz ohne Schutz. Die treuen Hirtenhunde passen auf sie auf.
Mit der Frau im Gleichnis verhält es sich ähnlich.
Das verlorene Silberstück braucht zwar nicht wie das Schaf ihre Hilfe. Aber wenn sie das eine Silberstück nicht findet, könnte sie den Ochsen nicht kaufen oder der Brautschmuck wäre nicht komplett.

Getragen vom guten Hirten, können wir auf jeden neuen Tag hoffen.
In der Gewissheit, dass Gott uns sucht, wenn wir verloren gehen, können wir beruhigt schlafen. Beruhigt, so wie Miriam, als sie ihren Garli im Arm halten konnte.

Und auch Thomas darf sich der Obhut Gottes anvertrauen. Sein Leben geht weiter.
Er darf sich Gottes Hilfe sicher sein.

Gott führt alles zu einem guten Ziel. Am Ende wird Freude sein.
Amen.

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