Langenecks Welt

Leidenszeit – Predigt zu Hiob 2, 1-13

Gehalten am 26.02.2023 in Wolfenhausen und Nellingsheim

I. »Auch der Satan« –
Wenn unmoralische Angebote locken

Jemand macht mir ein interessantes Angebot.

Ich weiß:
Ganz in Ordnung ist die Sache nicht, irgendjemand hat das Nachsehen.
Aber es ist schwer zu widerstehen.
Kleine oder größere Versuchungen.

Fällt ihnen ein Moment im Leben ein, als ein ebenso zweifelhaftes wie attraktives Angebot im Raum stand?

Wie haben Sie reagiert?

Nicht immer bleiben wir in solchen Situationen standhaft.
Das ist nicht gut. Aber menschlich.

Bei Gott allerdings sollte es anders sein, oder?
Jesus, das haben wir in der Schriftlesung (Matthäus 4, 1–11) gehört, hat dem Versucher widerstanden.
Und Gott selbst?

Kann er in Versuchung geraten? Anscheinend schon!

Was steht da im Buch Hiob?

21Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den Herrn trat.
2Da sprach der Herr zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. 
3Der Herr sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben.
4Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. 
5Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an:
Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen! 
6Der Herr sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben!

Lutherbibel 2017 – Hiob 2, 1-6

II. »Du aber hast mich bewogen« –
Wenn Gott selbst sich verführen lässt

Es ist eine ebenso berühmte wie verstörende Geschichte, die das Hiobbuch erzählt.

Gott und der Satan verhandeln in aller Seelenruhe miteinander über das Schicksal eines unschuldigen Menschen – und stürzen ihn ins Verderben.

Und das passiert nun schon zum zweiten Mal!
Schon einmal, so wird zu Beginn des Buches Hiob erzählt, haben sich Gott und Satan getroffen.
Und Gott hat schon einmal stolz von seinem vorbildlichen Diener Hiob erzählt.
»Kein Wunder, dass er fromm ist«, hat Satan, der Versucher, erwidert.
»Du hast ihm ja alles gegeben, was er sich wünscht. Wenn du ihm das alles nimmst, dann – du wirst sehen – wird es mit seiner Frömmigkeit vorbei sein.«

Und Gott hat sich versuchen lassen.
Er hat dem bösen Spiel zugestimmt.
Und Hiob hat alles verloren:
sein Vieh, seine Knechte und schließlich auch alle seine Kinder, sieben Söhne und drei Töchter.

Ein unfassbares Leid.

Jetzt ist Satan schon wieder bei Gott.
Denn Hiob hat an Gott festgehalten, trotz allem.
Gott wird jetzt klar, was er angerichtet hat:
»Du, Satan, hast mich bewogen« – man könnte auch übersetzen: Du hast mich verführt –, »ihn ohne Grund zu verderben.«

Das sagt Gott selbst. Eine grausame und sinnlose Aktion!

Aber Satan wäre nicht Satan, wenn er jetzt locker lässt:
»Wenn es Hiob selbst an den Kragen geht«, so legt der Versucher nach,
»wenn Hiob krank wird und er Angst hat zu sterben, dann wird auch er den Glauben verlieren.«

Und wieder lässt Gott sich hinreißen.
Er lässt das Böse geschehen und wird so selbst zu einem, der vernichtet.

Wie geht es weiter?

7Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des Herrn und schlug Hiob 
mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. 8Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.

Lutherbibel 2017 – Hiob 2, 7-8

III. »In der Asche«
– Wenn Menschen am Boden sind

Was immer in Gott vorgegangen ist, warum auch immer es so weit kommen musste – das Ergebnis ist schrecklich.

Hiob ist am Boden, sitzt in der Asche.
Asche zu Asche, Staub zum Staube …
– viel näher kann man dem Tod nicht kommen, als Hiob es nun ist.
Hiobs Leiden ist extrem – aber viele von uns haben Erfahrungen gemacht, die daran erinnern:

Der liebenswürdige, engagierte Nachbar bekommt Krebs und ist nur noch der Schatten seiner selbst. Die lebensfrohe, hilfsbereite Freundin wird von ihrem Mann verlassen und kämpft mit einer schweren Depression.

Jemanden so zu sehen und nichts tun zu können, das ist schwer zu ertragen.
Besonders unerträglich wird es, wenn einer der liebsten und nächsten Menschen so leidet und plötzlich nicht mehr der ist, der er einmal war.
Wenn dann noch die Pflege Kraft kostet, das Geld knapp wird, Bekannte sich zurückziehen:
Das macht hilflos – und auch wütend.

So geht es auch Hiobs Frau.

Lesen Sie weiter aus Hiob 2:

9Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! 
10Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? 
In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

Lutherbibel 2017 – Hiob 2, 9-10

IV. »Hältst du noch fest?« –
Wenn Angehörige verzweifeln

Traversi – Hiob von seiner Frau verspottet

Hiobs Frau:
Sie hat ihre sieben Kinder verloren, und nun auch noch den tatkräftigen, erfolgreichen Mann, den sie einmal hatte.

Geblieben ist einer am Boden, ein Schwerkranker.

Für Hiobs Frau ist das offenbar zu viel.
Sie kann nicht mehr.
Was hat das Leben so noch für einen Wert?
Was hat der Glaube für einen Wert, wenn Gott in solchem Elend nicht hilft, sondern es immer schlimmer macht?

Für Hiobs Frau ist die Antwort klar: Es hat keinen Wert.
»Fluche Gott und stirb!«, sagt sie.
Für mich ist ihr Satz ein Ausdruck der Verzweiflung.
Der Text und erst recht seine spätere Auslegung deutet auf eine andere Spur.
Hiobs Frau wurde nicht als trauernde Mutter, nicht als verzweifelte Angehörige wahrgenommen.
Sie galt stattdessen als vermeintliches Beispiel für die Schwäche von Frauen allgemein – oder, noch schlimmer, wie schon Eva, als Gehilfin des Versuchers.

Nur die griechische Übersetzung des Alten Testaments macht da eine Ausnahme.
Da gibt es zusätzliche Verse, in denen Hiobs Frau ihr Leid klagt.
Sie klagt über den Verlust ihrer Kinder.
Sie klagt über die Krankheit ihres Mannes.
Und sie klagt über ihr eigenes Schicksal als Frau:
»Ich irre umher […] als Tagelöhnerin«, heißt es da, »von Ort zu Ort und von Haus zu Haus, und warte darauf, wann die Sonne untergehen wird, damit ich ausruhe von den Qualen und Beschwerden, die mich umfangen.«

Hiobs Frau ist am Ende.
Hiob selbst aber bleibt zunächst standhaft.
Was er sagt, weckt jedenfalls den Eindruck, dass er innerlich noch Herr der Lage ist:
»Wenn wir das Gute von Gott empfangen, sollten wir dann nicht auch das Böse annehmen?«

Das ist ein weiser Satz – aber angesichts seines Leids ist eine solche Haltung übermenschlich.
Seine Frau hat nicht die Kraft, seinen Weg weiter mitzugehen.
Trotzdem bleibt Hiob nicht allein.

11Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort:
Elifas von Teman,
Bildad von Schuach und
Zofar von Naama.
Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. 
12Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 
13und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Lutherbibel 2017 – Hiob 2, 11-13

V. »Sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war«
– Wenn Freunde da sind

Hiobs Freunde – sie kommen von weit her.
Ja, oft ist es wichtig, Abstand zu haben, um jemandem beistehen zu können.
Das, was seine Frau nicht schafft – die Freunde können es, weil sie nicht selbst betroffen sind.

Eberhard von Wächter – Hiob und seine Freunde

Was Elifas, Bildad und Zofar tun, ist bemerkenswert – und beispielhaft.
Es fängt damit an, dass sie hören, was geschehen ist.
Und dass sie sich das, was sie hören, zu Herzen nehmen.
Hiobs Schicksal setzt sie gemeinsam in Bewegung.
Als sie ankommen, schauen sie nicht weg, sondern sehen hin.
Was sie sehen, macht sie betroffen – und sie zeigen ihre Gefühle.
Und dann sind sie einfach da.
Sie setzen sich zu Hiob hinunter auf die Erde und sagen nichts.

VI. »Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt?«
– Wenn wir gefragt sind

Hiob, seine Frau und seine Freunde – drei Einsichten aus ihrer besonderen Geschichte sind mir wichtig geworden:

Die erste ist:
In Extremsituationen stoßen Menschen an Grenzen.
An Grenzen ihrer Liebe.
An Grenzen ihrer Hoffnung.
Und auch an Grenzen ihres Glaubens.
So wie Hiobs Frau.

Und wie Hiobs Frau sagen und tun auch andere dann im Zweifelsfall Dinge, die ihnen selbst und ihrem Umfeld wehtun.

Aber ich bin überzeugt: Wenn es so ist, dann ist das ein Verzweiflungsschrei.

Und es bringt nichts, Menschen deswegen zu ermahnen oder gar zu verurteilen.
Im Gegenteil, es ist wichtig, zu sehen, was wirklich los ist.
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes »Notwendig«, zu helfen, wenn es möglich ist.
Und es ist wichtig, immer zu bedenken:
Niemand macht es ganz und gar richtig.

Wenn das Elend groß ist, kann jeder und jede von uns sich nur hilflos vortasten.
Selbst die zunächst vorbildlichen Freunde Hiobs versuchen später in langatmigen Diskussionen, eine einleuchtende Begründung für Hiobs Lage zu finden.
Hiob selbst tut das nicht gut.

Die zweite Einsicht stammt von Hiobs Freunden.
Die Freunde machen mir klar:
Es ist wichtig, nicht wegzulaufen, wenn es einem Freund, einer Kollegin, einem Nachbarn richtig schlecht geht.
Es ist wichtig, hinzugehen.
Auch wenn ich das Gefühl habe, es nur falsch machen zu können.
Auch wenn nichts, was ich sagen könnte, einen Sinn zu ergeben scheint.

Meist braucht es keine großen Worte.
Es genügt zu zeigen:
Ich sehe, wie es dir geht.
Ich höre dir zu, wenn du möchtest.
Ich bin für dich da, so gut es eben geht.

Und was ist mit Gott, mit dem Glauben?
Ein Gott, der sich versuchen lässt, ein Gott, der zerstörerisch wirkt – das ist die größte Herausforderung für den Glauben.
Auch Hiob hält seine übermenschliche Leidensbereitschaft nicht durch.
Auch er bricht zusammen.
Er stimmt eine herzzerreißende Klage an:
»Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin.«
So beginnt er.

Die dritte Einsicht ist eine, die ich neben Hiob auch Martin Luther verdanke.

Luther hat die Abgründe gesehen, die sich auftun können, wenn man sich zu sehr in das Grübeln über Gott und das Leid in der Welt verstrickt und überhaupt nicht mehr herausfindet.
Er kannte die Versuchungen, die auch darin lauern:
Man resigniert und hofft überhaupt nichts mehr.
Oder man wird zynisch und redet abwertend von Gott und vom Glauben.
Luther kam deshalb zu der Einsicht:
Gottes verborgene, dunkle Seite, die muss man ruhen lassen.
Man kann sie sowieso nie ergründen.

Dagegen soll man sich ganz fest an den halten, in dem Gott uns nahe gekommen ist: an Jesus, an seine Liebe, an sein Mitleiden.
Ja, in Jesus setzt sich Gott zu uns ganz unten in den Staub.
So wie die Freunde Hiobs es gemacht haben.
Und in Jesus bleibt Gott bei uns, wenn niemand anders es mehr bei uns und mit uns aushält.
Er hört uns, wenn wir klagen – und auch, wenn wir ihn anklagen.
Und er verspricht uns, dass das Leiden und der Tod nicht das letzte Wort haben.
Sondern dass am Ende das Leben gewinnt.
Trotz allem.
Amen.

Stichworte: ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert