Langenecks Welt

Gabe Gottes

Predigt zu Matthäus 9, 9-13
gehalten in der Schlaitdorfer St. Wendelin-Kirche am 5. Februar 2023

Hier finden Sie den Predigttext aus dem Matthäusevangelium 9, 9-13

Lesen wir den ersten Satz dieses Abschnittes einmal in Zeitlupe, also Stückchen weise:

Als Jesus von dort (Kapernaum) wegging, sah er einen Menschen.

Er sieht einen Menschen.
Ich sehe einen Menschen.
Ich sehe ihn als das, was er ist. Ein Mensch.

Wie ich. Wie du.
Ohne besondere Merkmale – abgesehen von den Merkmalen Mensch.

Wir lesen weiter:

Als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen.

Er ist also nicht nur ein Mensch.
Er ist auch ein Zöllner.

Oder ein Arzt.
Oder ein Kirchengemeinderat.
Oder ein Arbeitsloser.
Oder ein Politiker.
Oder ein Straßenkehrer.
Oder ein Student.
Oder ein Hilfsarbeiter; eine Lehrerin; ein Patient.

Ich sehe nicht mehr den Menschen, sondern den Arzt, den Zöllner, den Hilfsarbeiter, den Patienten. Die philippinische Krankenschwester.

Mir fällt sofort alles ein, was ich über Zöllner, Lehrerinnen, Arbeitslose weiß oder zu wissen glaube.

Das alles überlagert die Tatsache, dass er einfach ein Mensch ist.

Wenn wir weiter lesen, lernen wir auch seinen Namen kennen:

Als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus.

Matthäus: Das ist Hebräisch und heißt übersetzt: „Gabe Gottes.“
Dieser Mensch am Zoll hat in den anderen Evangelien einen anderen Namen.
Matthäus verwendet hier einen Kunstgriff, den ihm Jahrhunderte später der Filmemacher Alfred Hitchcock nachgemacht hat.
Sehr zur Freude des Publikums ist Hitchcock in seinen Filmen immer irgendwo selber aufgetreten. Matthäus tritt hier, an dieser Stelle, in seinem Evangelium auf.
Er setzt sich auf den Stuhl des Zöllners und sagt:
„Auch ich bin ein Teil dieser Geschichte, obwohl ich nicht persönlich dabei war.“

Das wissen wir von den anderen Evangelien, die nennen nämlich den Zöllner Levi.

Nicht nur dieser eine, dieser Zöllner heißt Matthäus.
Auch alle, die sich das Essen gemeinsam mit Jesus schmecken lassen, und alle anderen, von denen jetzt schon die Rede war, heißen Matthäus.

Es ist eine Runde, in der nichts anderes Bedeutung hat:
Beruf, Herkunft, Bildung, Vorleben, Familienstand.
Nichts zählt.
Nur dass sie alle, jeder Einzelne, Matthäus, eine Gabe Gottes sind. Das ist bedeutsam.
Und alle, die wir noch nicht genannt haben.
Die Liste ist so lang, dass wir sie nie komplett kriegen:
Die Schwiegermutter und die Schwiegertochter sind Matthäus.
Die Nachbarin mit der keifenden Stimme.
Ja, auch – ihr wartet sicher schon darauf, dass ich das endlich sage – Ihr hier in Schlaitdorf seid alle Matthäus.

Alle, alle sind sie Matthäus.

Und Matthäus, haben wir uns gemerkt, das heißt Gabe Gottes.
Nicht alle wissen das.
Oder nicht alle wollen es wissen.

Da sind die Wichtigen und Gescheiten, und alle, die sich dafürhalten.
Sie sagen zu Jesus: Der Name dieser Leute ist Sünder.
Das stellt uns vor die Frage: Kann ein Mensch, der Gabe Gottes heißt, ein Sünder sein?

Das griechische Wort, das gewöhnlich mit Sünder übersetzt wird, ist frei vom Wirkstoff Moral.
Das griechische Wort bedeutet ursprünglich:
Verfehlen, nicht treffen, verlieren, einbüßen.

Matthäus, der Mensch dessen Name Gabe Gottes ist, kann in die Irre gehen.
Er kann sein Ziel verfehlen.
Er kann abirren und abschweifen.
Er kann sich verlieren – In Gedanken, auch in sich selbst.
Im Wald und auf der Heide.
Im Dschungel der Paragraphen und den Ansprüchen der Gesellschaft, seiner Freunde und Bekannten.
Er kann seinen Verstand einbüßen.
Seine gesunde Urteilskraft und das Augenmaß für sein Tun einbüßen.

Und wir können, wie alle Besserwisser und Selbstgerechten dieser Welt ihm dann neue Namen geben: Versager, Verbrecher, Schmarotzer. Störenfried. Nervensäge.
Jeder dieser neuen Namen trifft wahrscheinlich auch auf eine gewisse Weise zu.

Wir können ihm aber auch seinen wirklichen Namen lassen, Gabe Gottes.
Dann kommen wir in der Nachfolge Jesu vielleicht auf die Idee, diesen Matthäus zu fragen: „Was kannst du in unsere Welt einbringen. Denn schließlich bist du eine Gabe Gottes. Wofür also hat Gott dich denn der Welt gegeben?“

Lesen wir weiter:
Als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.

Wenn ein Mensch seinen Namen Matthäus, Gabe Gottes, tragen darf, prägt das das Klima.
Hierzulande hat sich ein Klima der Verachtung ausgebreitet.
Hört einmal auf die Zwischentöne, wenn in der Öffentlichkeit von Lehrern, Politikern, Polizisten, Ärzten die Rede ist.
Über alle wird Verachtung gegossen.
Wir schwimmen gesellschaftlich in einem Verachtungssee.
Und die Kinder, die sich mit dem Lernen plagen, werden schon ganz früh darin gebadet.

Komm in unsere Mitte, geh mit uns, tu mit uns, was wichtig ist.
Diese Einladung weckt die Lebenskräfte und aktiviert diesen Matthäus.
Die Verachtung flieht.

Ich bin gewöhnlich sparsam mit Appellen in Predigten. Aber heute bitte ich euch:
Lasst nicht zu, dass hier bei uns Menschen verachtet werden.
Wir alle gewinnen, wenn wir diese Gaben Gottes dazu ermutigen, das einzubringen, was ihnen von Gott möglich gemacht ist.
Matthäus, der Evangelist, der sich selbst in seiner Geschichte zum Zöllner gemacht hat, erzählt es uns auf ganz eigene Weise.

Dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.

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