Ein Tag voller Widersprüche
Predigt zu Gründonnerstag (06.04.23) in der Schlaitdorfer St. Wendelin-Kirche
Predigttext: Lukas 22,39–46
I. Ein Tag voller Widersprüche
Gründonnerstag. Ein Tag voller Widersprüche
Um Jesus und die Seinen spitzt sich an diesem Abend alles dramatisch zu:
Sie feiern Passah, das Fest der Befreiung. Doch noch an diesem Abend gerät Jesus in Gefangenschaft. Er wird verhaftet und an seine Gegner ausgeliefert, an die, die ihn weghaben wollen.
Die Jünger und Jesus kommen zusammen an diesem Abend, feiern das Fest der Gemeinschaft – und noch in dieser Nacht wird ihre Gemeinschaft zerfallen, die Jünger werden versprengt in alle Richtungen, nur weg.
Sie haben Tischgemeinschaft miteinander. Doch Judas stiehlt sich davon, um Jesus an die Jerusalemer Autoritäten zu verraten. Sie essen miteinander, aber dann streiten die Jünger untereinander, wer als der Größte gelten sollte.
Petrus legt Treueschwüre ab. Aber Jesus sagt ihm auf den Kopf zu, dass Petrus ihn dreimal verleugnen wird, ehe der Hahn kräht. Und wir wissen: So wird es geschehen. Was für ein Drama in diesen letzten Stunden!
Jesus selbst ist offensichtlich aufs Äußerste aufgewühlt. »Mich hat herzlich danach verlangt, dies Passahlamm mit euch zu essen«, sagt er zu den Jüngern am Anfang der Mahlzeit, und am Ende der Mahlzeit bedankt er sich bei ihnen, dass sie bei ihm ausgeharrt haben in seinen Anfechtungen.
Zwischen Sehnsucht und Anfechtung, zwischen Dankbarkeit und Verzweiflung ist er hin und her gerissen. Zuerst spricht er davon, dass wer einen Mantel hat, ihn verkaufen und ein Schwert dafür kaufen solle. Wenig später aber, als es tatsächlich zur Konfrontation mit der Tempelpolizei kommt, untersagt er den Jüngern den Waffengebrauch.
Doch zuvor zieht er sich zurück zum Gebet, geht hinaus an den Ölberg, geht hin in die Dunkelheit, wirft sich nieder und trägt offensichtlich ungeheure innere Kämpfe aus. :Die Jünger, die mit ihm zum Ölberg gegangen sind, verschlafen diesen dramatischen Moment komplett.
Ein Abend voller Widersprüche und dramatischer Augenblicke.
Jesus ist in Todesangst ist.
Blut, Schweiß und Tränen rinnen und ein Engel muss ihn in seiner Schwachheit stärken.
Das passt schwer ins Bild von Jesus:
Der Gottessohn in solcher Schwachheit und Todesangst?
Dabei ist es uns heute das Allerwichtigste.
Jesus, der Gottessohn – ein Mensch wie wir:
Mit Sehnsucht – und in Todesangst.
Mit Leidenschaft – und mit Angst vor dem Leiden.
Jesus: einer von uns.
Und zugleich einer von Gott.
Ganz an unserer Seite, und ganz in Gottes Hand.
»Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist«, wird er schließlich am Kreuz beten.
Hören wir auf unseren heutigen Predigttext aus Lukas 22, 39-46:
39Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
Lutherbibel 2017
40Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!
41Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete
42und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern
dein Wille geschehe!
43Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
45Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit
46und sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!
II. Jesus ringt mit dem Tod – und mit Gott
Hier sehen wir Jesus im Gebetskampf.
Jesus verlässt mit seinen Jüngern den Abendmahlssaal und geht hinaus aus der Stadt an den Ölberg.
Das ist die Gegend, von der man auch heute einen Blick auf die ganze Stadt hat.
Der Ölberg, das ist der Ort, an dem der Messias, wenn er kommt, erscheinen soll.
Dort war Jesus wenige Tage zuvor angekommen und von der Volksmenge begeistert begrüßt worden.
»Hosianna. Gelobt sei, der da kommt, im Namen des Herrn.«
Dorthin geht Jesus »nach seiner Gewohnheit.«
Vertraut ist er nicht mit dem Ort, denn in Jerusalem ist er ja erst seit wenigen Tagen.
Aber zu beten ist er gewohnt.
Der jüdische Tageslauf ist gerahmt und durchdrungen vom Gebet.
Das ist seine Gewohnheit.
Jesus ermahnt die Jünger es auch so zu halten.
»Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.«
Betet, jetzt erst recht!
Jesus sieht, wie die Gewissheiten bei den Jüngern bröckeln.
In dieser höchst spannungsvollen Situation.
In der Stunde der Versuchung.
Hilft nur noch beten!
Und so sehen wir Jesus beten.
Er entfernt sich »einen Steinwurf weit« von den Seinen; er bleibt in Hör- und Rufweite.
Er kniet nieder.
Wir können regelrecht sehen, wie dringlich sein Gebet ist.
Dass er kniet, zeigt seine Demut vor dem Vater im Himmel.
Einwilligen in den Willen Gottes, darum geht es im Gebet Jesu.
Ja sagen zu dem, was Gott will.
Zustimmen zu dem, was unvermeidlich ist.
Möge der Kelch des Leidens an mir vorübergehen, möge ich ihn nicht bis zur Neige trinken müssen.
Aber »dein Wille geschehe«.
Und dann der so wichtige Satz in dem Bericht des Lukas:
»Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.«
Wie würde es mir in einer solchen Situation gehen?
Ich kann nur beten:
»O Gott, komm du auch mir entgegen, wenn ich in innere Not gerate.
Und schick mir einen Boten entgegen, wenn es aufs Ende zugeht.
Lass deine himmlischen Kräfte mir beistehen.«
Es erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
Möge mir ein Engel erscheinen, wenn ich ihn brauche.
Eine himmlische Kraft.
Ein Mensch, der mir beisteht
Ein guter Geist, der mich tröstet und stärkt.
Jesu innerer Kampf geht weiter, heftiger als zuvor.
Schweiß tropft wie Blutstropfen zu Boden.
Es bleibt ihm nichts erspart.
Wir sagen: Jesus ist ganz eins mit dem Vater.
Im Evangelium gibt es viele Beispiele, dass Jesus mit seiner ganzen Existenz mit Gott eins ist.
Hier sehen wir:
Er muss schwer darum kämpfen.
Eins zu werden, eins zu bleiben mit dem, was Gott will.
Blut, Schweiß und Tränen kostet es ihn.
»Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.«
So betet Jesus.
Aber wer von uns kann so beten?
Jedes Mal im Vaterunser beten wir: »Dein Wille geschehe.«
Aber meinen wir das jedes Mal in seiner ganzen Tragweite?
Vor allem auch dann, wenn das, was wir wollen, und das, was Gott will, so gar nicht zusammenpasst.
Nicht mein, sondern dein Wille geschehe?
Wollen, was Gott will, zustimmen zu dem, was Gott will, das ist schon viel.
Aber das, was ich will, ganz und gar zurücknehmen oder gar ausschalten?
Ich finde das wirklich schwer.
Wir müssten sicher sein, dass das, was Gott will, besser für uns oder für die Welt ist, als das, was wir wollen.
Aber sind wir uns dessen immer so gewiss?
Selbst Jesus geht nicht sicher und gelassen seinem unvermeidlichen Ende entgegen.
Jesus ringt offensichtlich im Gebet um eben diese Gewissheit:
Das, was du, Gott, willst, ist zuletzt gut für die Welt.
Ich will nicht leiden, aber wenn du, Gott, es willst, soll es so sein.
Ich will nicht in die Konfrontation, aber wenn es sein muss, Vater, will ich ihr nicht ausweichen.
III. Abendmahl: Brot des Lebens – kein Zuckerbrot
Gründonnerstag, ein Tag voller Widersprüche,
Augenblicke voller Dramatik.
Vor diesem Hintergrund begreifen wir, was das Abendmahl für uns sein kann, ganz anders.
Abendmahl – das Fest der Gemeinschaft?
Gemeinschaft nicht nur der Gleichgesinnten.
Alle sind mit am Tisch, sogar der Verräter, auch der Verleugner und alle die anderen, die bald darauf zerstreut sind in alle Winde.
Ihnen allen gibt Jesus das Brot.
Ihnen allen reicht er den Kelch.
Nehmt und esst, nehmt und trinkt, so werdet ihr eins, durch mich.
Abendmahl – Brot des Lebens?
Aber kein Zuckerbrot.
Keine Nachspeise zum Hauptgang, die man auch weglassen könnte.
Bitter erkämpft.
Mit Tränen gesalzen.
Und lebensnotwendig.
Abendmahl – Vergebung und Neuanfang?
Hier zeigt sich, was Gott für uns will.
Er will »nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehre und lebe«.
Gott ist treu.
Trotz unserer Untreue.
Gott ist unter allen Umständen auf der Seite des Lebens.
Gott will, dass wir leben.
Vater, dein Wille geschehe.
Abendmahl – Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus?
Jedes Abendmahl ist ein Vorgeschmack auf Ostern.
Auch am Gründonnerstag. Auch am Karfreitag.
Aber wir sollten immer im Hinterkopf haben: Der Auferstandene, dem wir im Abendmahl begegnen, ist derselbe, der die tiefsten Tiefen der Todesangst durchlitten hat.
Abendmahl – Trost und Stärkung?
Ja, und gerade dann, wenn unser Vertrauen in die Güte Gottes angeknackst oder untergraben ist.
Wenn wir kämpfen und zweifeln.
Es ist Trostbrot und Stärkung,
Das ist Jesu Leib, Der für uns Anfechtung und Todesangst erlebt und erlitten hat.
So haben wir ihn ganz bei uns, in uns, in den dunkelsten Stunden.
Abendmahl – Tischgemeinschaft des Himmels?
Auch das.
Es ist ganz gewiss der Wille des Vaters, dass alle seine Menschenkinder an seinem Tisch versammelt sind. Wo alles geteilt wird und alle satt werden.
Wo keiner am Katzentisch sitzt und niemand mehr von den Brosamen leben muss, die von der Herren Tische fallen …
Ja, Vater, dieser dein Wille geschehe, und zwar bald.
Amen.
- GOTT hört – hört GOTT?
- Die Macht des Bösen