Langenecks Welt

Die Macht des Bösen

Predigt zum Brief an die Kolosser 1,13–20

Gehalten zu Karfreitag 2023 in der Altenrieter St. Ulrich Kirche

Hier gehts zum Predigttext: 1. Kolosser 13-20

I. Wonach klingt Karfreitag?

Es ist Karfreitag.
Und da erklingt vor Ihren Ohren ein hochfliegender Hymnus , ein Loblied auf Christus.
Ausgerechnet an Karfreitag.

Zu Karfreitag gehören eigentlich andere Töne.
Oder gar keine Töne.
Karfreitagsstille – diese Zusammenstellung kennt unsere Sprache noch, auch wenn sich unsere Gesellschaft inzwischen vielfach erfolgreich dagegen wehrt.

Aber hier und da gibt es schon noch Karfreitagsstille.
In einem Jahr wie diesem, in dem in Europa so entsetzlich viele tote Gewaltopfer zu beklagen sind.

Die Bilder legen sich übereinander:
An Karfreitag beklagen wir den einen und auch die vielen, die viel zu jung aus dem Leben gerissen wurden.
Die harmlose Fahrradfahrerin, die hinterrücks niedergeschossen wurde.
Die Toten auf der Straße mit ihren Kissen und Taschen und Teddybären im Arm. Zivilisten, die aus der angegriffenen Stadt fliehen wollten und leider nicht schnell genug waren.
Die Menschen, die in den Erdbebengebieten erschlagen wurden oder nun ohne Obdach und einer einfachen Grundversorgung sind.

Wir alle haben wahrscheinlich solche Bilder im Kopf heute, wenn wir auf den einen schauen, der von der römischen Besatzungsmacht damals brutal ums Leben gebracht wurde.

Nein, Karfreitag klingt nicht nach Loblied und Jubeltönen.

Sondern nach Klagelauten.
Nach Liedern in Moll, in denen die ganze Tränenflut über so viel vorzeitig vernichtetes Leben mitschwingt.

Und zu Karfreitag gehört der Schrei, der die Stille des Himmels zerreißt und den eigenen trostbedürftigen Glauben für den Moment gefrieren lässt:

»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!

Wir kommen wir an Karfreitag zusammen, weil wir uns dem stellen wollen.
Weil wir einen Ort suchen und brauchen für diese Unruhe. Sie rumort tief in uns.

Die vielen, vielen Bilder von all den vielen, vielen Toten schreien ja nach einer Antwort.

Wir glauben, hoffen, ahnen:
Hier beim Gottessohn, der mit all diesen vielen, vielen Toten zusammen aus tiefsten Tiefen schreit.
Können wir bei ihm so etwas wie Trost und Orientierung finden?

II. Lob über alles

Und wenn wir heute Morgen mit diesem Gefühl gekommen sind, dann sind wir wahrscheinlich erst einmal ein bisschen irritiert vom Loblied aus dem Kolosserbrief.

Hier erklingen komplizierte Sätze.
Wir kommen kaum hinterherkommen.
Sie werden immer weiter aufeinandergeschichtet, bis sie sich geradezu überschlagen.
Und sie beanspruchen alles und wollen alles umfassen.
Anfang und Ende, Höhe und Tiefe, Sichtbares und Unsichtbares, das All und die Gemeinde – alles, einfach alles!
Und das alles, um den zu rühmen, der alles umfängt und durchwirkt und bestimmt und prägt!

Und wer ist der?

Der, der am Kreuz von Golgatha seine Enttäuschung Gott entgegenschleudert?

Er soll der sein, der vor allem war.
Durch ihn sei alles geschaffen.
In ihm wohnt die ganze Fülle des Alls und des unsichtbaren Gottes?

Ich gebe zu, so ganz komme ich da nicht gleich hinterher.
Sie vielleicht auch nicht.

Ich suche also nach Worten.
Ich suche nach Trittsteinen, die mir, die uns helfen, mitzukommen.

Und dann bleibe ich doch gleich beim ersten Halbsatz hängen:
»Er hat uns gerettet aus der Macht der Finsternis.«
Wer würde sich das nicht wünschen in der gegenwärtigen Weltlage?

Auf einmal sind in Europa Krieg und Gewalt wieder Mittel der Politik geworden.
Auf einmal findet das Gespenst des plumpen Nationalismus in Scharen Anhänger, dass einem schlecht werden kann.
Auf einmal ist die Angst da, auch unser Leben könnte eines Tages in Gewalt versinken oder in einem atomaren Inferno enden.

So viele kleine und große Machthaber wollen ihre kleinen und großen Interessen durchsetzen.
Zu viele wollen ihre Allmachtsträume verwirklichen.
Zu wenige sehen das Ganze der Lebensgemeinschaft auf diesem Planeten.

Worauf soll man denn da noch hoffen?
Wo wir doch am Ende nur gemeinsam als Weltgemeinschaft Lösungen für unsere Konflikte und erst recht für die ökologische Grundlagenkrise finden werden?

III. Woher der Jubel?

»Was hat das mit unserem jubelnden Christushymnus zu tun?«, mögen Sie vielleicht einwenden.

»Er hat uns gerettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, in dem wir die Erlösung haben.«

Ich denke: »Genau!«

Dieser eine ist das ultimative Gegenbild zu allen machtbesessenen und kriegslüsternen Potentaten, die die Finsternis aufbieten kann.
Er versetzt uns in eine andere Welt.
In diesem Einen sehen wir wie in einem Brennglas, was es eigentlich braucht und was am Ende zählt.

Wir brauchen das liebevolle Interesse für die Menschen.
Wir brauchen den Blick, der bis zum letzten Atemzug Versöhnung ausstrahlt.
Wir brauchen den leisen oder manchmal auch lauten Ruf: »Folge mir nach!«

Dieser Heiland ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes.
Er hat nichts gemein mit einem selbstsüchtigen Milliardär oder einem menschenverachtenden Gewaltherrscher.

Aber genau dieser Heiland Jesus ist doch überwältigt?
Er ist ans Kreuz genagelt worden?
Er ist hilflos.

Doch dieser Heiland ist auf den Traum des Erfolgs nicht reingefallen.
Er wollte kein machtvolles Spektakel veranstalten.
Er ließ sich nicht darauf ein, große Heerscharen zu mobilisieren.
Er widerstand der Versuchung, Macht über Menschen zu gewinnen.

Davon erzählen alle vier Evangelisten auf ihre Weise.
Sie erzählen, wie einmal in der Wüste Satan selbst, die alte Schlange der Versuchung, an Jesus herankroch und ihm ins Ohr wisperte:
Schau all die Reiche der Welt an und alle Herrlichkeit.
»Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest«.

Der Menschensohn erwidert: »Weg mit dir, Satan.«
Er weiß, was die Welt im Innersten zusammenhält und woraus sie entsprungen ist.
Es ist das Liebeswort des einen unsichtbaren Gottes.
Ihm ist die ganze Schöpfung entsprungen.
Gottes Liebe wirkt in allem, was lebt.
Er ist selbst durch und durch Liebe.

»In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist,

das Sichtbare und das Unsichtbare …

Es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.«

IV. Der Schein der Macht

Die Macht der Kälte ist groß auf unserem Planeten.
Sie wächst sogar.
Oft sieht es so aus, als zählten nur Macht und Dominanz und die Gewalt der Stärkeren.

Aber glauben Sie: Es sieht nur so aus.

Die kalte Macht muss die Wärme fürchten, die mit der Liebe in die Welt kommt.
Die finsteren Mächte scheuen das Licht, das Gott in seiner Liebe zum Leben geschaffen hat.
Deshalb konnte es damals in Jerusalem kaum anders gehen, als dass sie Jesus kaltblütig aus dem Weg geräumt und beseitigt haben.

Sie taten souverän.
Sie taten so, als sei alles rechtens.
Sie demütigten ihn und meinten selbst groß zu werden, wenn sie ihn kleinmachten.
Sie verhöhnten ihn.
Sie quälten ihn.
Und am Ende kassierten sie sogar noch schamlos den Profit ein.
Nicht einmal seine Kleider, die letzte Schutzhülle der Menschlichkeit, ließen sie ihm.

So fuhren sie den Sieg ein – wie es aussah.
Und der Himmel schritt nicht ein.
Jedenfalls nicht vor aller Augen.
Und nicht mit einer triumphalen Geste oder gar mit einem Akt der Vergeltung.
Nach seinem Aufschrei der Verzweiflung blieb es still – und finster.

Aber dann – zwei lange Tage und Nächte später – fiel doch vom Himmel hoch der Jubel in die Herzen seiner Jüngerinnen und Jünger ein. Sie sahen und verstanden allmählich:

Diese Welt ist nicht nur so, wie es auf der Oberfläche erscheint.

In der Tiefe sind andere, göttliche Kräfte von Anfang an beständig am Werk.
Und die entscheiden, wer oder was letztlich im All und in der Ewigkeit wirklich Bestand hat.

V. Der Weg des Christus

Das ist der Weg des Christus.

»Er ist der Anfang,
der Erstgeborene von den Toten,
auf dass er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott gefallen,
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin.«

Gott hat es also gefallen, diesen Weg zur »Errettung
aus der Macht der Finsternis« zu wählen.

Ob dieser Weg uns auch gefällt, ist eine andere Frage.

Ehrlicherweise sind wir oft ratlos.
Wir sind unsicher, vielleicht auch verzweifelt.
Manchmal sind wir auch wütend darüber, dass es keinen geraderen oder bezwingenderen Weg zum Frieden und zum Heil gibt.

Aber solange wir in diesem Leben leben, gibt es nur den einen Weg.
»Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin.«  

Amen.

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