Predigt zu Matthäus 17, 1-9
gehalten am 29.01.2023 in der Neckartenzlinger Martinskirche
Ich habe es oben auf dem Gipfel eines Berges erlebt.
Die Welt erscheint in einem anderen Licht:
Gipfelerfahrungen.
Alles sieht ganz anders aus, irgendwie deutlicher.
Klarer als sonst und als anderswo.
Die Welt hüllt sich in Schweigen,
keine gewohnten, vertrauten Geräusche – und wenn, dann nur ganz aus der Ferne.
Vielleicht Kuhglocken, das Rauschen eines Wasserfalls, das Brummen einer Motorsäge.
Die Welt erscheint entfremdet. Verändert. Verklärt.
Gipfelerfahrungen verändern.
Nicht unbedingt gleich die ganze Welt,
nicht unbedingt die Realität des gesamten Alltags,
jedenfalls nicht unbedingt direkt und sofort.
Wer schon einmal einen hohen Berg bestiegen hat, der weiß, wie anstrengend das ist.
Aber es ist ein tolles Gefühl, wenn es geschafft ist.
Alles ist so weit weg, was mich sonst verfolgt, bedrängt oder ablenkt.
Dazu kommt die Klarheit der Farben und Formen,
Blumen und Felsen,
die Intensität des Lichtes.
Zusätzlich kann ein gemeinsamer Anstieg verbinden,
kann die Gipfelerfahrung noch intensiver machen.
Gipfelerfahrungen können auch erschreckend sein.
Aufrührend.
Wenn alles Bisherige in Frage gestellt wird.
Wenn Zweifel an der Richtigkeit meiner Pläne Zweifel aufkommen.
Zurückliegendes taucht aus einem anderen Blickwinkel wieder auf.
Gipfelerfahrungen können auch ausgesprochen ernüchternd sein.
Schließlich muss ich irgendwann wieder vom Berg runter!
Die Empfindungen und Erkenntnisse verblassen mir nur zu schnell,
ich kann sie oft genug nicht festhalten.
Hören wir auf unseren Predigttext aus dem Matthäusevangelium 17, 1-9 .
Vorgeschichte
Nach 6 Tagen nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes mit auf einen Berg.
Was war den da vor 6 Tagen geschehen?
War es der Höhepunkt oder der Tiefpunkt?
Jesus frage seine Jünger: Was sagen die Menschen, wer ich bin.
Da antworteten seine Jünger. „Einige sagen, du wärst Johannes der Täufer oder Elias oder Jeremia oder ein anderer Prophet.“
Und als Jesus seine Jünger fragte: „Und was glaubt ihr?“
„Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“, antwortete Petrus.
Jesus erwiederte: „Du bist Petrus, auf diesem Fels möchte ich meine Gemeinde bauen.“
Wie mag sich da der Petrus gefühlt haben?
Er wurde durch Jesu Wort geradezu geadelt. Ein Hochgefühl machte sich in Petrus sicherlich breit. Die Jünger fühlen sich in der Gemeinschaft geborgen und sonnen sich im Ruhm ihrer Bewegung.
Das war sicherlich ein, wenn nicht der Höhepunkt im Leben der Jüngerinnen und Jünger.
Nur um kurz darauf ins Bodenlose abzustürzen, denn Jesus kündigte sein Leiden an.
Dass er sich den Machthabern ausliefert. Dass er gefoltert wird. Dass er am Kreuz sterben wird.
Dass er auferstehen wird.
Petrus in seiner etwas hemdsärmeligen Art nahm Jesus beiseite und versuchte es Ihm auszureden.
Doch Jesus reagierte nicht wie erwartet: „Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Das war sicherlich ein Tiefpunkt.
Aufstieg
Eine Woche müssen die Jünger nun in diesem Wechselbad der Gefühle gelebt haben, da nimmt Jesus seine engsten Mitarbeiter mit auf einen Berg und hier scheint gerade das Gegenteil zu geschehen.
Berge sind in der Bibel immer Plätze, an denen es zu Begegnungen mit Gott gekommen ist.
Ich denke da vor allem an den Berg Sinai. Dort begegnet Mose Gott und bekommt den Bund für sein Volk und die 10 Gebote geschenkt.
Auf diesem Berg wurde Jesus verklärt. Was geschieht da?
Was bedeutet das?
Hier wird es beschrieben: sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Er wirkt wie angestrahlt von großen Scheinwerfern.
Gottes Herrlichkeit
In der Bibel ist die Herrlichkeit Gottes ein Lichtglanz. Für die Menschen unerträglich. Deshalb musst Mose, als er vom Berg Sinai herunterkam, auch sein Gesicht verhüllen.
Es ist ein Zeichen für Gottes Wirklichkeit im Kontrast zu unserer Welt mit ihrer vergänglichen Sichtbarkeit.
Was hier Jesus und seine engsten Jünger mit ihm erleben, passiert in dem Augenblick als die Entscheidung für den Leidensweg und das Kreuz gefallen ist. In dem Augenblick strahlt das Licht auf. Plötzlich wird der Vorhang weggezogen und Gottes Wirklichkeit hüllt Jesus ein und mit Ihm seine engsten Schüler.
Und sie sehen Mose und Elia und hören sie miteinander sprechen.
Beide, Mose und Elia, stehen als Säulen für Gottes Geschichte, für die Propheten.
Gott redet durch sie direkt mit seinem Volk.
Nie zuvor und danach, außer Jesus, hatte keiner so direkten Kontakt mit Gott gehabt als Mose.
Und Elia ist eine Säule der alten Propheten.
Und die Gemeinschaft dieser drei sagt, dass jetzt die Geschichte Gottes zur Vollendung kommt.
Sie reden miteinander. Wir wüssten gerne über was sie geredet haben. Es wird nicht berichtet.
Es bedeutet, hier sind Verheißung und Erfüllung im Gespräch. Hier spitzt sich die Geschichte Gottes zu.
Und was geschieht bei den Jüngern in dem Moment?
Festhalten wollen sie ihn!
Einer prescht voran.
Petrus, der ist bekannt für sein vollmundiges Bekenntnis und seine direkte Art.
Ihm ist klar, dass er gerade etwas äußerst Ungewöhnliches miterlebt hat.
Das möchte er bewahren.
Ganz pragmatisch packt er die Sache an.
Ich finde es sehr verständlich, wenn er sagt:
“Ach, wenn es doch immer so sein könnte!
Hier bleiben wir, hier ist es gut!“
„Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“
Aber Licht festhalten?
Das klingt doch schon sehr nach den berühmten Schildbürgerstreichen.
Auch dort war es schon nicht gelungen, das Licht in Säcken in ihr fensterloses Rathaus zu tragen.
Auf dem hohen Berg scheinen die drei und Jesus dem Himmel etwas näher.
Die Macht des Himmels geht auf die Erde über.
Die Kraft Gottes erreicht diese Welt;
fast immer recht verborgen, doch manchmal urplötzlich sichtbar und spürbar.
So wie dann an Pfingsten.
Die Szene der Verklärung Jesu kann einer Ikone verglichen werden
Da gibt es eine sichtbare obere Schicht mit bunte Farben und ganz zuletzt aufgetragenen Lacken.
Und es gibt eine untere Schicht – den Goldgrund – der bei jeder Ikone zuerst auf das Holz kommt und ihr den Glanz des Echten, Wahren und Wertvollen geben soll.
Durch die aufgemalten Bilder und Motive leuchtet immer wieder einmal der Goldgrund hindurch.
Und so leuchtet auch in unserer Welt, in unserem Leben, hin und wieder Gottes Gegenwart besonders glänzend durch.
Es ist ein schöner Gedanke, dass wir unser Leben auf einen Goldgrund malen können, wie auf einer Ikone!
Petrus bekommt leuchtende Augen:
Hier lasst uns Hütten bauen!
Petrus sucht den Weg des Eindeutigen:
Eine Hütte für Christus, um festzuhalten, dass er Herr ist über mein Leben.
Verlässlicher Halt in meiner schwankenden Lebensgeschichte.
Hütten für Mose und Elia.
Ein Heiligtum,
etwas zum Festhalten und Anfassen.
Einen Ort schaffen, wo Gott verfügbar ist.
Auf dem „Berg der Verklärung“ stehen in Israel nach langer, wechselvoller Geschichte zwei Kirchen – eine griech. orth. und eine röm. kath..
Beide Konfessionen konnten sich im Streit um das Gelände und um die Darstellung der Verklärung nicht einigen.
Für Petrus sind Mose und Elia die Verbindung zum Früher.
Für ihn sind sie Garanten für Gottes Zusage an uns Menschen.
Petrus zielt auf End-Gültiges
Er will Halt bieten, Autorität, religiöse Heimat.
Damit würde er auch heute bei vielen offene Türen einrennen und auf begeisterte Zustimmung stoßen.
Die Sehnsucht nach Sicherheit, nach unverbrüchlicher Glaubensgewissheit ist in unserer Zeit sehr groß.
Und gleichzeitig ist die Gefahr groß im Vordergründigen stecken zu bleiben,
Wie Hütten auf dem Berg bauen und vielleicht gar nicht mehr zu merken, dass sich der Glanz schon längst verflüchtigt hat…
Wie Festhalten und Festschreiben um jeden Preis: So ist es und nicht anders.
Das macht die Angst nicht kleiner.
Es führt eher dazu, dass jede Anfrage als Angriff erlebt wird und ungeheuer bedrohlich wirkt.
Das führt dazu, dass sich Menschen oder ganze Gemeinden abschotten.
Das ist keine tragfähige Kraft für das Leben.
So verlässt Petrus im Sturm der Mut.
Er kann das Scheitern nicht aushalten in Gethsemane.
und der Angst nicht standhalten, als der Hahn kräht.
Gipfelerfahrungen, wie diese,
sind nicht herstellbar, zu erzwingen oder einzufordern.
Sie sind Geschenk und Herausforderung zugleich.
Wenn sich Gott zeigt und für einen Moment der Goldgrund der Ikone durchscheint, erstrahlt Gottes Zusage in deinem Leben.
Die Stimme
Die Stimme gehört dazu, im Predigttext mysteriös aus den Wolken.
In der Bibel ist die Wolke immer ein Signal für den Grenzübergang zwischen Gottes unsichtbarer Welt und der unseren sichtbaren Wirklichkeit.
Die Stimme wie auch während der Taufe Jesu und auch im Psalm 2.
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“
Sie erschrecken.
Weshalb erschrecken sie da?
Wirklichkeit Gottes.
Wenn Gott in seiner Wirklichkeit in unser Leben hereinkommt
In meinen eigenen Überlegungen und Meditationen.
Manchmal auch als zufällig hingeworfener Satz eines anderen.
Auch Wegweisungen gehört dazu.
„Ihn sollt ihr hören!“ hatte übrigens auch schon Maria bei der Hochzeit zu Kana gesagt.
Wenn Gottes Wirklichkeit in unser Leben hereinbricht, dann sprengt es unsere Vorstellung.
Das läuft nicht immer im Wohlfühlmodus ab.
Es bestätigt uns nicht immer und wir wollen sagen: „Ja, so soll es bleiben!“.
Deshalb kann Angst durchaus die angemessene Reaktion sein.
Wenn wir spüren, wir haben es nicht mehr mit unserer eigenen Meinung zu tun, sondern Gott sagt seine Meinung.
„Dies, Jesus, ist mein lieber Sohn, auf den sollt ihr hören!“
Deshalb gibt es bis heute keine andere Botschaft.
Ich mache es heute bei ihnen, bitte sagen sie es weiter:
Jesus ist die Schlüsselfigur.
Lesen sie die Bibel.
Lesen sie, was Jesus gesagt hat.
Lesen sie was er getan hat.
Sehen sie ihn an, um ihn kennen zu lernen. Um ihm zu vertrauen.
Das ist Gottes Stimme in unserer Welt. Das ist, was wir brauchen.
Zum Glauben gehört …
Zum Glauben gehört das Hin- und Her-gerissen sein
zwischen Angst und Schrecken und dem „Fürchtet euch nicht“
zwischen Karfreitag und des österlichen Glanzes der Verklärung und Erleuchtung.
Und die Ernüchterung nach der Gipfelerfahrung folgt auf den Fuß:
die Erscheinung ist verschwunden, nur noch Jesus ist zu sehen.
Da fragen sich die drei : „Haben wir das gerade nur geträumt?“
Jedenfalls müssen sie wieder herunter vom Berg.
Das stelle ich mir ziemlich schwierig vor.
Sie dürfen nichts von dem erzählen, was sie erlebt haben!
Nebenbei: vielleicht lässt es sich auch kaum erzählen?
Wenn schon die Erfahrungen einer ganz normalen Bergbesteigung so schwer zu vermitteln sind?
Dennoch sind Petrus, Jacobus und Johannes sicherlich nicht so zurückgekommen, wie sie aufgebrochen sind.
Angerührt sind sie.
Wieder aufgerichtet, nachdem der Schrecken sie zunächst umgeworfen hatte.
So werden sie Jesus als Auferstandenen wiedersehen.
Auferstehung mitten im Leben.
Aber handfester, alltäglicher.
Jesus fasst sie an, um sie aus dem Schrecken zurückzuholen.
Vielleicht legt er ihnen beruhigend die Hand auf die Schulter.
Er ergreift ihre Hand, um sie vom Boden wieder hochzuziehen.
Ein Widerspruch gegen die alltägliche Gewissheit:
„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen…“
Am Übergang von der Epiphaniaszeit zur Passionszeit gewinnt diese Geschichte eine ganz eigene Bedeutung:
Hier berührt der herrlich leuchtenden „Morgenstern“ den elend leidenden Gekreuzigten.
Beides zusammen macht das Ganze aus.
In Christus wie in jedem einzelnen Menschen.
Gipfel – und Tiefenerfahrungen gehören zusammen.
Sternstunden und der krähende Hahn.
Und manchmal verklärt sich etwas – wie von selbst.
Der Goldgrund scheint durch.
Das Leben wird transparent für Gottes Gegenwart.
Amen
- Gott sehen Predigt zu 2. Mose 33, 18-23
- Gabe Gottes