Das geknickte Rohr – Predigt zu Jesaja 42,1-9
Haben Sie einen Satz, der Ihnen besonders lieb ist?
Gibt es einen biblischen Satz, der Ihnen besonders wichtig ist?
Am liebsten würde ich jetzt Ihre Lieblingssätze anhören – und natürlich auch, weshalb Ihnen diese Worte so viel bedeuten.
Der biblische Satz, der mir wichtig und lieb ist, steht im 42. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja.
Er beschreibt den Menschen, an dem Gott Gefallen findet und ihn stützt.
Es ist der 3. Vers:
„Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“
Ich dachte immer, dass sich der Satz auf Jesus bezieht und war ganz überrascht diesen Vers im Alten Testament zu finden.
Doch hier freut sich Gott an einem Menschen, der sich mit jenen abgibt, die in ihrem Leben fast ganz unten angekommen sind.
Für sie und mit ihnen ist er da und hütet oder behütet den kleinsten Funken Hoffnung.
Diesen Jemand liebt und stützt Gott, heisst es bei Jesaja, denn:‚Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus‘.
Als dieser Satz niedergeschrieben wurde, war er an das Volk aus Juda im babylonischen Exil gerichtet, damals im 6. Jh. v.Chr..
Das Volk sollte durch den babylonischen König Nebukadnezar ausgerottet werden.
Er hatte bereits Jerusalem und den Tempel zerstören lassen.
Er hatte einen Grossteil des Volkes nach Babylonien zwangsumsiedeln lassen.
Das Volk mit seinem Glauben an den einen Gott Jahwe sollte ausgelöscht werden.
Es war damals für die Juden eine ganz, ganz schwierige Zeit.
Die Menschen wurden gebrochen, ihre Würde geknickt.
Da war kaum mehr Hoffnung und innerlich begeistertes Lebensfeuer.
Dem Volk war eine Zukunft in Freiheit und Gerechtigkeit ausgelöscht, niedergebrannt.
Es war fast ganz unten.
Die allermeisten dachten: „Uns ist nicht mehr zu helfen, wir gehen nur noch zugrunde.“
In diese Volks-Situation hinein sprach der namenlose Prophet als Gottes Beauftragter den Satz der Ermutigung.
Er tröstete und festigte seine Leute mit dem Hinweis auf den, der ihnen aus ihrer großen Not helfen wird.
Es wird ihn geben.
Es gibt ihn:
„Es gibt sie unter euch, die sich mit euch an die gebrochene Geschichte setzen.
Die euch nicht noch ganz brechen, sondern euch sorgsam und gerecht wieder aufrichten.
Es gibt ihn.
Es gibt sie unter euch, die sich mit euch ins Finstere der Ausweglosigkeit setzen und euer bisschen Hoffnung nicht auslöschen, sondern dem Lebensfunken in euch behutsam und geduldig anfachen. Die Sorge tragen bis das Feuer wieder brennt.
Was vor mehr als 2500 Jahren das jüdische Volk als grausame, tragische Geschichte erlebte – und später im 20. Jh. wieder -, erleben heute andere bedrohte Völker auf dieser Erde.
Anders zwar, aber nicht weniger schmerzlich.
Die indogenen Völker in Latein- und Nordamerika, die Tibeter, die Uiguren, die Christen im Sudan und im Irak.
Sie und andere Völker dazu sollen gebrochen, geknickt und am liebsten ausgelöscht werden.
Eine politische Herausforderung
Gott hat Gefallen an ihm, der helfend ganz nach unten geht.
Ihn nennt Gott ‚mein Knecht, den ich stütze‘.
Wir können sicher auch sagen: Gott nennt sie ‚meine Dienerin, die ich stütze‘.
Im Buch Jesaja steht:
„Gott hat Gefallen an jenen und stützt sie, die das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.“
Eine politische Herausforderung für alle, die sich Christen und Juden nennen. Für alle, denen die Heilige Schrift Gottes Absicht für alle Völker offenbart.
Es gibt sie, die Männer und Frauen, die sich jener liebevoll annehmen, die im Leben einen Knacks bekommen haben. Deren Geschichte schmerzhafte, hindernde Brüche kennt – aus was für Gründen auch immer.
Es gibt sie, die Leute, die für jene einstehen, die auf der Schattenseite des Lebens verkümmern.
Die sich nur noch in die Einsamkeit zurückziehen und sich verschliessen – aus was für Gründen auch immer.
Es gibt sie zwar auch, auch als Christen, die Menschen, die manchmal schnell bereit sind zu sagen: „Selber schuld; jetzt soll halt ganz fallen, was am Fallen ist; jetzt soll halt ausgelöscht werden, was nur noch so am Flackern ist.
Menschen sind manchmal stark im Zerbrechen geknickter Rohre, im Auslöschen glimmender Dochte.
Doch in der Heiligen Schrift sagt Gott, dass er den Umgang mit den Schwachen, vielleicht Versagenden und den seelisch Armen anders sieht.
Er hat Gefallen an allen, die in seinem Geist handeln, und nennt sie seine Diener und Dienerinnen, denn:
„Das geknickte Rohr brechen sie nicht und den glimmenden Docht löschen sie nicht aus.“
Ich möchte einfach gerne allen danken, die als gute und behutsame Dienerinnen und Diener Gottes gebrochene und umnachtete Mitmenschen liebevoll und helfend begleiten.
Ich tue dies nicht nur aus theoretischem Einverständnis mit meinem biblischen Lieblingssatz, sondern aus persönlicher Erfahrung und Betroffenheit.
Das eigene Gebrochen sein
Ich kenne, wie sicher einige von Ihnen auch, das eigene Gebrochen sein wie ein geknicktes Rohr, das eigene Sitzen im Finstern und in der inneren Kälte wie ein noch glimmender Docht.
Aus vielen Gründen gibt es manchmal für junge und ältere Leute so nichts Freudiges mehr.
Kein Ziel.
Nichts, wofür es sich eigentlich lohnt.
Gesammelte Enttäuschungen vielleicht.
Schuld und Ausweglosigkeiten, Erniedrigung und Demütigungen.
Vielleicht ist alles so wie zu einer blossen Frage ohne Antwort, zu einem Gedankenstrich ohne Folgetext geworden.
Da denke ich dankbar an all jene, die mich und andere nicht noch ganz gebrochen und ausgelöscht haben, sondern uns beim Aufrichten und beim Finden des inneren Lichtes liebevoll geholfen haben.
Zur Zeit des babylonischen Exils hat der Prophet kaum auf einen Knecht Gottes hingewiesen, der dann nach über 500 Jahren einmal kommen wird.
Es war damals sicher nicht eine Verheissung, die sich in Jesus Christus dann einmal erfüllen sollte.
Da müssen wir unsere jüdischen Mitmenschen fragen, wie sie die Erfüllung der Prophetie verstehen.
Doch als Christ darf ich, als Christen dürfen wir uns trotzdem fragen, wie weit Jesus Christus für uns der ist, der unser Leben immer wieder will, auch wenn wir noch so am Boden liegen.
Für mich ist er so ein Gottesknecht in seiner radikalen Hingabe für die Schwachen, für die ganz unten.
Ihm ging und geht es immer drum, dass die Menschen aus ihrer Not Erlösung finden.
Dass sie aus ihrem Dunkel zum Licht finden.
Dass sie aus ihrem Gefangen sein zur Freiheit und aus ihrem Unrecht zur Gerechtigkeit finden.
Dafür hat er sich bis zu seinem Tod und in seine Auferstehung als Hoffnungszeichen auch für uns eingesetzt.
Ich weiß, dass er es für mich, für Sie, für alle Menschen bis heute weiter tut.
Ich glaube, dass er nicht müde wird bis alle Aufgerichtet und zum Licht des wirklich Glücklich gefunden haben.
So höre ich gerne mit Ihnen meinen biblischen Lieblingssatz im Zusammenhang mit dem ganzen Lied vom Gottesknecht:
Lutherbibel 2017 – Jesaja 42, 1-9
Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.
Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.
So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Atem gibt und Lebensodem denen, die auf ihr gehen:
Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand. Ich habe dich geschaffen und bestimmt zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.
Ich, der HERR, das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen.
Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. So verkündige ich auch Neues; ehe denn es sprosst, lasse ich’s euch hören.
- Wie sieht Gott aus? – Predigt zu 1. Johannes 1,1-4
- „Fürchtet Euch nicht!?“ Predigt zu Matthäus 14, 22-33