Langenecks Welt

Der verlorene Vater – Predigt über Lukas 15,11-32

Predigt am 16.06.2024 in der Nehrener Veitskirche
Predigttext: Lukas 15,11-32

Das Gleichnis, das wir gehört haben, ist eine der bekanntesten und besten Geschichten aus der Bibel.
Eine Geschichte, die klar und anschaulich ist.
Und dennoch, wenn man sie hört, so geschieht es immer wieder, dass neue Dinge gehört und gesehen werden.

Deshalb hat die Geschichte auch verschiedene Namen.

Der verlohrene Sohn

Die meisten werden wohl sagen, ja, das ist doch das Gleichnis vom verlorenen Sohn.
Denn das handelt von einem Sohn, der von zu Hause wegging.
Der sein Vermögen vergeudete und drauf und dran war, zugrunde zu gehen.
Der schließlich in sich ging und sich entschloss, heimzukehren, um wenigstens Tagelöhner am Hofe seines Vaters zu werden.
Und dann geschah, was wir gehört haben, dass der Vater ihm entgegenlief.
Ihm um den Hals fiel aus reiner Freude, da er seinen Sohn wieder hat.
Der Sohn war verloren, konnte keine Ansprüche stellen, aber der Vater nimmt ihn auf, gibt ihm Festkleidung und hält ein Fest für seinen heimgekehrten Sohn.

Die verlorenen Söhne

Der verlorene Sohn – unter diesem Namen haben die meisten diese Geschichte kennengelernt.
Doch wir könnten die Erzählung auch „Die verlorenen Söhne“ nennen.
Ein Bruder, der Gerechte, blieb zu Hause und tat immer, was er sollte.
Er ist in seinem Beleidigt sein und seiner Selbstgerechtigkeit mindestens genauso verloren war wir der, der das Land verließ und alles verspielte.
Der Gerechte verkörpert die „normale“ Sicht.
Pflichterfüllung wird belohnt.
Bei Nichterfüllung muss Strafe sein.
Es wird einem nichts geschenkt.

Auch er ist verloren, tot.
Er lebt kein heilsames Leben.
Er erfüllt nur Pflichten und hätte selbst zum Feiern eine Anweisung gebraucht.
Er redet verächtlich über „diesen deinen Sohn“.
Er verweigert die Anrede an den Vater und den Brudertitel.
Hinter seinem Gerechtigkeitssinn verbirgt sich, wie so oft, Neid und Missgunst. Hier sehe ich eine Parallele auch in unserer Gesellschaft.

Der barmherzige Vater

Wir könnten die Geschichte auch die Erzählung vom barmherzigen Vater“ nennen.
Man sieht da den Vater stehen, immer mit offenen und empfangenden Armen, egal was immer seine Söhne auch anstellen mögen.
Das ist eine Auslegung des Gleichnisses, die das Gewicht auf die grenzenlose Vergebung und Liebe des Vaters legt.

Doch bei all seiner Großzügigkeit, seinem Großmut, seiner Nachsicht.
Was ist das eigentlich für ein Vater?
Der nicht zornig wird und verzweifelt über seine Kinder, die ihn, jeder in seiner eigenen Weise, verließen und ihm den Rücken kehrten?

Der verlorene Vater

Darum möchte ich das Gleichnis auch die „Erzählung vom verlorenen Vater“ nennen.
Das eröffnete mir eine weitere Perspektive:
Das Bild des verlorenen, verzweifelten Vaters.

Ich kann mir nichts Verloreneres vorstellen als Menschen, die auf ihre Kinder verzichten müssen!
Hier im Gleichnis ist es ein Vater, ebenso könnte es auch eine Mutter sein.
Der Vater, der zwei Söhne hat, die ihm immer Sorgen machen, die nie einen Blick für seine Liebe haben.
Der Vater, der sich deshalb stets sehnt.

Er sehnt sich nach dem Sohn, der fort ist.
Ebenso sehnt er sich nach dem Sohn, der da ist, der ihm aber dennoch fern ist und den er deshalb nicht erreichen kann.

Er steht da mit seiner Liebe, seinem Leben, aber niemand legt Wert darauf, niemand nimmt das an.

Mehr verloren kann einen Menschenleben nicht sein.
Ja, es gibt wohl nichts, was sich mit der Trauer über Kinder vergleichen lässt, die wir verloren haben.
Ob dies nun darin besteht, dass sie nicht erreichbar sind oder dass sie für immer fort sind.
Da ist immer ein Schmerz.

Egal, wie der Verlust entstanden ist.
Sei es eine psychische Krankheit oder zugeschlagene Türen und keine Hoffnung besteht, dass sie sich wieder öffnen.

Schlimm ist es, wenn der Tod die Trennung verursacht hat.
Verzweifelnd ist der stille Schmerz, die Verlorenheit, die Einsamkeit.

Schlimmer ist es, wenn die Kinder da sind, es ihnen vielleicht bestens geht, aber sie nur mit sich selbst beschäftigt sind.
Mit ihrer Karriere, mit gesellschaftlichem Umgang aber ohne Sinn für Liebe, die Sehnsucht, die Eltern nach ihnen empfinden.

Es gibt viele Arten, wie Kinder verloren gehen können und das tut immer weh.
So wie es auch mit dem verlorenen Vater im Gleichnis gewesen sein muss.

Verlorene Söhne

Der eine Sohn wollte nicht mit ihm leben, er verlangte sein Erbteil, schlug die Tür zu und ging seines Weges.

Dennoch ging der Vater jeden Morgen auf den Hügel und hielt Ausschau nach ihm.
Natürlich konnte er ihn nicht loslassen.
Natürlich hoffte er, seinen Sohn wiederzusehen.
Er betete für ihn, tagelang, monatelang, und vielleicht dachte er an nichts anderes als an ihn.

Vielleicht übersah er in seiner Trauer seinen anderen Sohn.
Vielleicht ließ er den Zurückbleibenden für die Schuld des anderen büßen.

Der erste Sohn war fortgegangen, ohne die Liebe des Vaters wahrzunehmen, nun war es der Vater, der blind war für die Sehnsucht des zurückgebliebenen Sohnes nach Aufmerksamkeit und Anerkennung.
So wurde der Vater selbst schuld war am Zorn des Sohnes, seiner Verlorenheit, der Bitterkeit, die sich um ihn zusammenzog und sein Leben verpestete.

Der Vater verlor ein Kind, er bekam es wieder, seine Freude war unwiderstehlich, grenzenlos, aber er verlor damit sein zweites Kind.
„Wie kannst du ein Fest feiern für jemanden, der sein Eigentum vergeudet hat zusammen mit Huren, während ich hier jeden Tag hart gearbeitet habe?“, so der Vorwurf.

Der verzweifelte Vater

Nein, der Vater ist bestimmt nicht nur der gütige und barmherzige Vater, er ist wahrlich auch der verlorene, der verzweifelte Vater, der weiß, dass es auch Schmerzen bedeuten kann, Kinder zu haben.

Was die Erzählung jedenfalls deutlich bezeugt, ist, dass das Leben von Eltern und Kindern sich nicht trennen läßt.
Das Glück der Kinder ist auch das Glück der Eltern.
Ihr Verloren Sein ist auch das Verloren Sein des Vaters.

Da es ein Gleichnis ist, das von der Welt Gottes handelt, gilt dasselbe auch für das Verhältnis zwischen Gott und uns.
Das Leben Gottes und das Leben der Menschen lässt sich nicht trennen.
Da, wo wir einander finden, in Liebe und Freude, da ist auch eine Freude, die sich bei Gott zeigt.
Aber da, wo wir verloren gehen, da bleibt Gott zurück als der Verlorene, der nicht mehr weiter weiß.
Ob das in Hochmut und Selbstgenügsamkeit geschehen ist oder im geschlossen Raum der Bitterkeit.
Ob wir blind werden für all das, was um uns ist.
Ob wir alles wegwerfen und das Dasein nur zu Unterhaltung wird, zu Oberflächlichkeit, zum reinen Nichts.
Egal, da ist die Verzweiflung auch Gottes Verzweiflung.

Gott ist ein mit-lebender Gott

Das Gleichnis bringt zum Ausdruck:
Gott ist ein mit-lebender Gott, der seine Kinder begleitet, er mit ihnen leidet.
Er verzweifelt und freut sich wie ein jeder ordentliche Vater.

Der Vater im Gleichnis und damit auch Gott wurde immer als den barmherzigen, großzügigen gesehen, der nur dasteht und mit offenen Armen wartet. Egal was geschieht, so können wir immer zu ihm heimkehren.
Dieses Bild ist natürlich richtig, aber es ist nicht vollständig.
Denn das wäre ein Bild eines alten Großvaters, der nicht mehr Geisteskraft in sich hat, um das Leben seiner Nachkommen zu verstehen, und der nun dasteht und murmelt: „Ja, das ist ja alles in Ordnung mit Euch, aber Ihr könnt immer bei mir vorbeischauen, wenn Ihr Lust habt“.
Als ob unser Leben nicht mehr wäre und keine größere Bedeutung hätte.

Nein, der Gott, mit dem wir es zu tun haben, ist ein lebendiger, ein leidenschaftlicher Gott.
Er bewegt sich mit uns, wir sind seine Liebe, sein Glaube und seine Hoffnung.

Das ist kein Gott, der nur in sich selbst ruht, in stoisch erhabener Ruhe.
Das ist ein Gott, der Verzweiflung kennt, der zuweilen außer Rand und Band gerät.
Er gab sein Leben, seine Liebe, seinen eigenen Sohn, um bei uns zu sein.
Bei uns Menschen, die sich verirren und dabei sind, in den vielen Räumen des Verloren-seins unterzugehen.

Im Gleichnis werden zwei Möglichkeiten dargestellt.
Ein Sohn, der den Vater verlässt und der alles verspielt, was ihm geschenkt wurde.
Und ein Sohn, der zu Hause bleibt, der genau das tut, was ihm gesagt wird, der aber in seiner freudlosen Selbstgerechtigkeit das Wesentliche versäumt.
Beide verspielen ihr Leben.
Verloren sind sie beide, nicht in derselben Weise, aber doch verloren.
Es kann gut sein, dass auch wir verloren sind.

Dann erzählt das Gleichnis, dass der Vater noch immer unser Vater ist.
Dass er noch immer mit uns zu tun haben will.
„Alles, was mein ist, ist auch dein“, sagt er zu dem einen Sohn.

Wunschkinder

Aber was für Kinder wünscht sich Gott der Vater dann?
Er hofft wohl, Kinder zu haben ganz wie wir Eltern sie uns wünschen.

Kinder, die nicht nur duckmäusig und gehorsam immer tun, was ihnen gesagt wird.
Sondern Kinder, die das annehmen, was ihnen geschenkt wird.
Und die mit der Zeit selbständig werden.
Kinder mit Phantasie, Mut, Aufgewecktheit und Herz.
Die sich ein eigenständiges Leben mit anderen aufbauen.

Es kann sein, dass Kinder zuweilen aus unserem Gesichtskreis verschwinden und wir wissen, so muss es sein.
In diesem Sinne ist es völlig in Ordnung, dass der eine Sohn im Gleichnis von zu Hause weggeht.
Das Problem ist, dass er nichts aus seinem Leben macht.
Sei es aus Dummheit oder Pech.
Darum endet das Ganze mit Leere und im reinen Nichts.

Natürlich wünschen wir uns Kinder, die nach Hause kommen und die zeigen, dass sie etwas gelernt haben.
Wir sitzen um den Tisch, und die Kinder, die reden mit, ja sie widersprechen uns.
Etwas ist mit ihnen geschehen, sie sind nicht mehr ganz dieselben wie die, die uns verließen.
Sie sind erwachsen geworden, mündig, Gegenspieler, so wie das von Anfang an der Sinn war.

Warum sollte sich Gott nicht Kinder in derselben Weise wünschen?
Kinder, die lernen, die sich entwickeln, ja die kämpfen.
Wie alle Kinder dafür kämpfen müssen, herauszufinden, wer sie sind.

Kinder, die empfangen können.
Die Leben teilen können mit ihren Geschwistern, mit ihren Mitmenschen, ihnen all die Freude gönnen, die es gibt.

Die wirkliche Freude in einer Familie besteht erst dann, wenn wir uns zusammen freuen können.
Das konnte der eine Sohn im Gleichnis nicht.

Und während dessen wartet der Vater, so wie unser himmlischer Vater auf alle seine verlorenen Söhne und Töchter wartet.
Alles was sein ist, gehört auch ihnen.
Das Dasein ist voll von seinen Gaben.
Und die Freude wächst im Himmel für jedes Kind, das aus dem leeren und selbstgerechten Leben umkehrt und das Leben annimmt.

Amen

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