Die ist nicht eingeladen!
Predigt zu Lukas 7, 36-50 gehalten am 20.08.2023 in der Mauritiuskirche in Ofterdingen und in der Veitskirche Nehren
I. Komm, lass uns miteinander essen und reden
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei Menschen, die beide die Nähe von Jesus suchen.
Zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein können. Der eine, ein Mann mit Namen Simon, lädt Jesus zu sich nach Hause zu einem Essen ein. Er wird uns als Pharisäer vorgestellt.
Ja, ein Pharisäer!
Ich betone das, weil in der christlichen Auslegungsgeschichte die jüdische Glaubensbewegung der Pharisäer einen schlechten Ruf hat.
Gewiss: Jesus hat sich oft mit ihnen gestritten.
Doch in vielem standen sie Jesus und seinen Jüngern sehr nahe.
Wie diesen ging es den Pharisäern darum, den Gott Israels ernst zu nehmen und seinem Wort zu vertrauen.
Gerecht wollten sie sein und ihr Leben an den Geboten Gottes ausrichten.
Bei dem Mahl, zu dem Simon eingeladen hatte, könnten also interessante Gespräche geführt werden. Vielleicht hat Simon deshalb Jesus ausdrücklich gebeten, zu kommen. Und Jesus folgt seiner Bitte.
Vorbehalte gegen den Pharisäer hatte er nicht!
II. Sie war nicht eingeladen
Aber da ist ja noch jemand.
Eine Frau! Auch sie sucht die Nähe Jesu.
Eingeladen ist sie nicht.
Dennoch platzt sie unvermittelt in die Tischrunde hinein.
Ungehörig für eine Frau in der damaligen Zeit.
Als unanständig galt sie. Sie wird als »Sünderin« bezeichnet.
Was aber besagt das?
In den Augen vieler »Anständiger« gilt man schnell als »Sünder« oder »Sünderin«. Warum also wird die Frau so abschätzig bezeichnet?
Schert sie sich nicht um die Gebote Gottes?
Macht sie Geschäfte mit den Römern, der verhassten Besatzungsmacht?
Oder führt sie einen anstößigen Lebenswandel?
Wir wissen es nicht.
Wir wissen nur, dass diese Frau von den meisten Leuten gemieden wird.
Warum, erfahren wir nicht.
Unsere Bibelstelle verliert darüber kein Wort.
Eindrücklich wird hingegen geschildert, was diese Frau alles zu Jesus bringt:
kostbares Salböl, Tränen und Liebkosungen.
Ihr Auftritt vor Jesus ist überschwänglich und hoch emotional.
Auch auf mich wirkt das Verhalten der Frau etwas peinlich und übergriffig.
Aber Jesus lässt es sich gefallen.
Vorbehalte gegen die »Sünderin« hat er nicht.
Zu Jesus darf sie kommen und mitbringen, was ihr in diesem Moment wichtig ist.
Ihre Dankbarkeit und ihr tiefes Vertrauen zu seiner Person.
Ihre überbordenden Gefühle und ihre verschwenderische Verehrung.
Vor Jesus darf sie das und wir dürfen das auch!
Zu unserem Gott kommen.
Und ihm alles anvertrauen: unseren Kummer und unser Leid, unsere Fragen und unsere Klage.
Auch das Erschrecken darüber, was in unserm Leben falsch gelaufen ist, wo wir unter Schuld oder Gottesferne leiden.
Aber auch unsere Lebensfreude und Lebenslust und allen Dank über erfahrene Versöhnung und Gemeinschaft.
Wie gut, dass Gott uns auch in seine Nähe lässt.
Im Gebet. Im Gottesdienst. Beim Abendmahl.
Darauf können wir uns verlassen.
Woher kommt dieses enorme Vertrauen, das die Frau Jesus entgegenbringt?
Die Vermutung liegt nahe, dass sie zumindest schon einmal von Jesus gehört hat. Davon, dass er Kranke gesund macht und Mutlose aufrichtet.
Dass er im Namen Gottes Schuld vergibt und Menschen versöhnt.
Mit Gott und mit ihren Mitmenschen.
Und dass er sich auch denen zuwendet, die damals am Rand des Gottesvolkes stehen mussten:
Kranken, Kindern und Frauen.
Vielleicht hat sie auch gehört, dass er »Zöllnern und Sündern« Gottes Reich und die Vergebung der Sünden predigte.
Es war ja auch ein Zöllner in seinem Jüngerkreis!
Und so hat die Frau sich ein Herz gefasst und die Nähe Jesu aufgesucht.
Auf eine etwas unkonventionelle, für manchen auch anstößige Art.
Aber Jesus hat das zugelassen und sie nicht weggeschickt.
Er hat ihre Bedürftigkeit gesehen, sich aber auch ihren Dank und ihre Liebe gefallen lassen.
Er hat sie angenommen.
Am Schluss spricht Jesus dann dieser Frau, die seine Nähe suchte, die Nähe Gottes zu:
»Dir sind deine Sünden vergeben. Dein Glaube hat dir geholfen: Geh hin im Frieden.«
III. Wenn er ein Prophet wäre, wüsste er …
Und Simon?
Jesus ist ja vor allem zu ihm gekommen.
Auf seine Einladung hin.
Natürlich hat er den emotionalen Auftritt der Frau mitverfolgt.
Nach außen zeigt er seine Gedanken und Gefühle nicht.
Aber in seinem Inneren brodelt es.
»Wenn dieser ein Prophet wäre«, denkt Simon, »so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt. Eine Sünderin ist sie.«
Diese Gedanken eines frommen Mannes verraten uns etwas Trauriges:
Sie verraten uns, wie sehr er auf diese Frau herabblickt.
Verächtlich.
Eine Sünderin ist sie.
Punkt.
Darauf hat er die Frau festgelegt.
Das sie etwas gemeinsam haben könnten, auf diese Idee kommt er nicht.
Beide sind vor Gott Schuldig geworden.
Beide sind auf Gottes vergebende Barmherzigkeit angewiesen.
Beide können nur leben, weil Gott sie barmherzig und aus Liebe ansieht.
Simons Verachtung ist eine Beleidigung der von Gott verliehenen Würde der Frau.
Mit solchen Gedanken wendet sich Simon von dem Gott ab, zu dem er eigentlich gehören will. Durch diese Abkehr wird er ebenfalls zum Sünder.
IV. Jesus gibt Simon nicht auf
Da wendet sich Jesus dem Simon zu.
Ganz persönlich.
Redet ihn jetzt mit Namen an: »Simon!«
Jesus gibt Simon nicht auf.
Auch keinen von denen, die ähnlich denken wie dieser.
Deswegen erzählt er jetzt eine Geschichte:
Ein Gläubiger hat zwei Schuldner.
Der eine schuldete ihm 50 Silbergroschen. Das entspricht etwa 50 Tageslöhnen.
Der andere 500 Silbergroschen. Das sind entsprechend ungefähr 500 Tageslöhne.
Beide sind in der gleich misslichen Lage, dass sie ihre Schuld nicht zurückzahlen können.
Da werde beide ganz überraschend von ihrer Schuldenlast befreit.
Von ihrem Gläubiger.
Beide können frei und entlastet in ihre Zukunft gehen.
Ob Simon beim Zuhören schon ahnt, dass diese Geschichte etwas mit ihm zu tun hat?
Dass hinter der Figur des Gläubigers Gott erkennbar wird?
Ob ihm der Gedanke kommt, dass er und die Frau vor diesem Gott in der gleichen Situation dastehen, weil beide ihre Schulden aus eigener Kraft nicht begleichen können?
Oder machen ihn seine Verachtung für die Frau und sein Gefühl moralischer Überlegenheit für diese Sichtweise blind?
Jesus bleibt Simon zugewandt.
Jetzt freilich durch sehr kritische Worte.
Jesus spricht an, wie distanziert und kühl Simon als Gastgeber ist.
Nicht einmal das Wasser zum Füße waschen hat er ihm gereicht.
Und wie viel Liebe und Herzlichkeit hat ihm dagegen die Frau geben!
Dankbar dafür, dass sie bei Jesus Annahme und Vergebung erfahren hat.
»Wem viel vergeben wurde, der kann auch viel lieben!«
V. Jesus gibt uns nicht auf
Unsere Geschichte lässt es offen, ob Simon sich diese Kritik Jesu zu Herzen genommen hat.
Wir wissen nicht, ob er sich von Jesus dafür gewinnen lassen konnte, in der »Sünderin« nicht mehr eine »Verlorene« zu sehen, sondern eine von Gott »Gefundene«.
Und ob sich Simon darüber freuen konnte.
Wir erfahren auch nicht, ob er den Zuspruch und den Segen, den Jesus der Frau zusprach, auch für sich selber gelten lassen konnte:
»Dir sind deine Sünden vergeben. Geh hin in Frieden.«
Das alles wissen wir nicht.
Was wir aber wissen:
Jesu Worte gelten bis heute.
Seine kritischen Worte. Und erst recht sein Zuspruch und Segen.
Beide zu hören und anzunehmen sind wir heute eingeladen.
Amen.
- Träumer!
- Gott ist anders!