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  • Der Bund im Regenbogen

    Der Bund im Regenbogen

    Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis am 02.11.2025 in Neckartailfingen und Altdorf über 1. Mose 8,18–22.9,12–17,

    Vor langer Zeit lebten die Menschen, wie sie wollten.
    Ein jeder wollte nach seiner Fasson glücklich werden.
    Tagein tagaus lebten sie auf ihre Weise.
    Jeder schaute nach sich selbst.

    Unter ihnen lebte ein Mann, der einen anderen Weg wählte.
    Er lebte mit Gott.
    Die Bibel nennt ihn einen Gerechten.
    Entgegen allen Logiken folgte er Gottes Auftrag, als dieser ihn mit der größten nur denkbaren Rettungsaktion der Menschheitsgeschichte beauftragte.

    Um wen handelt es sich?


    Um Noah.
    Obwohl es weit und breit kein Meer gab, baute er ein großes Schiff.
    Im Vertrauen auf Gottes Auftrag machte er sich an dieses große Projekt.

    Als die Wasser der Sintflut kamen, vertraute er ein weiteres Mal auf Gottes Auftrag und stieg in die Arche.
    Wochen und Monate vergingen.
    Dann war die Katastrophe vorbei. Noah stieg aus der Arche …

    Hier beginnt unser Predigttext:
    Lesen des Predigttextes: 1. Mose 8,18–22; 9,12–17


    Neubeginn

    Stellen wir uns Noah vor.

    Wie er den Fuß auf den Boden setzt – zögernd, tastend.
    Die Erde ist noch feucht, weich wie eine Wunde.
    Kein Vogelruf. Keine Stimmen. Nur ein tastendes Schweigen.
    Ein Licht, das noch nicht warm ist. Wie der erste Tag nach einem langen Fieber.

    Was er sieht, kennen wir:
    Bilder nach Fluten – Ahrtal, Jamaika, Kuba, Haiti.

    Jedes Mal dieselbe Verwüstung.
    Häuser fortgerissen. Erinnerungen versunken.
    Eine Landschaft, die nicht mehr antwortet.

    Und doch – Noah bleibt nicht stehen.

    Er sammelt Holz. Reste von etwas, das einmal Leben war.
    Und er baut – keinen Schutzwall.
    Sondern einen Altar.

    Dort, wo andere sagen würden: „Hier ist kein Gott mehr.“
    beginnt er zu sagen: „Hier bete ich ihn an.“

    Nicht mit Worten.
    Mit Rauch.
    Mit Dank.

    Mitten im Ruin erhebt er nicht die Faust, sondern sein Herz.

    Vielleicht ist das der erste Satz nach der Katastrophe:
    Nicht „Warum?“ –
    sondern „Du warst da.“

    Noah dankt – bevor Gott antwortet.

    Noch kein Regenbogen.
    Noch kein gesprochenes Versprechen.
    Nur der nackte Boden einer entstellten Welt
    und das leise Aufsteigen von Rauch.

    Es ist, als ob dieser Rauch nicht nur zu Gott aufsteigt –
    sondern die Welt wieder mit dem Himmel verbindet.
    Eine dünne, zerbrechliche Linie zwischen Erde und Ewigkeit.

    Und dann geschieht es.

    Nicht mit Donner. Nicht mit Gericht.
    Sondern mit einem Satz, den niemand erwartet hätte:

    „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen.“

    Gott — sieht dieselbe Wirklichkeit wie Noah.
    Er verharmlost sie nicht.
    Er sagt nicht: „Die Menschen sind gut.“
    Er sagt: „Ich weiß, wie sie sind. Ich kenne den Abgrund in ihrem Herzen.“
    Und genau dort — wo der Mensch unzuverlässig bleibt —
    entscheidet Gott sich, verlässlich zu sein.

    Nicht, weil der Mensch sich gebessert hätte.
    Sondern weil Gott sich bindet.

    Und so spannt sich über diese Wunde der Welt ein Zeichen,
    ein niemals verdientes, nur geschenktes Zeichen:

    Ein Bogen.
    Kein Kriegsbogen nach vorn.
    Sondern ein umgedrehter, entwaffneter Bogen.
    Von Himmel zu Erde gespannt.
    Nicht auf uns gerichtet – sondern für uns gehalten.

    Es ist, als sähe man Gottes Herz sichtbar werden.
    Zart. Unbewaffnet.
    Nicht Forderung – sondern Verheißung.
    Nicht Misstrauen – sondern Treue.
    Nicht Angst – sondern Liebe.

    Der Regenbogen steht.
    Nicht als Dekoration.
    Sondern als göttliches Gegenwort gegen alles, was zerstört.

    Gott sagt nicht: „Ich hoffe, ihr macht’s diesmal besser.“
    Er sagt: „Ich bleibe — selbst wenn ihr Fehler macht.“

    Der Regenbogen ist kein moralisches Mahnzeichen.
    Der Regenbogen ist ein Gnadenzeichen.
    Kein Appell an uns, sondern eine Verpflichtung Gottes an sich selbst.

    „Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken —
    und ich will daran denken.“

    Ein Bogen, der Brücken spannt, wo alles zerbrochen ist.
    Ein Bogen, der nicht uns erinnert, sondern Gott.
    Ein Zeichen nicht von Menschen nach oben,
    sondern von Gott nach unten.


    Unsere Welt ist nicht heil

    Unsere Welt ist nicht heil.
    Wir haben Bilder von überfluteten Dörfern,
    von brennenden Wäldern,
    von zerbrochenen Städten,
    von Menschen auf der Flucht – im Blick und im Herzen.

    Nicht weit weg.
    Nicht theoretisch.

    Angst liegt in der Luft.
    Eine Angst, die, wie ein feiner, giftiger Staub, jede Zukunftserzählung überzieht.

    Und genau in diesen Horizont hinein
    legt Gott uns — keinen Plan — sondern einen Bogen vor die Augen.
    Nicht als Garantie auf Leichtigkeit.
    Sondern als Verheißung seiner Gegenwart.
    Nicht: „Fürchtet euch nicht — es wird nichts passieren.“
    Sondern:
    „Fürchtet euch nicht — ich bin da, was auch geschieht.“


    Was bedeutet dieser Bund — für uns?

    Er bedeutet nicht, dass wir die Augen schließen vor dem, was kaputt ist.
    Im Gegenteil.
    Wer den Regenbogen sieht, sieht die Welt klarer.

    Aber nicht mehr ausgeliefert.
    Nicht mehr ohnmächtig.
    Nicht mehr getrieben von Angst.

    Sondern getragen von einem Grund, den wir nicht selbst legen müssen.

    Noah war nicht stark, weil er keine Angst hatte.
    Er war stark, weil er aus der Dankbarkeit heraus handelte, nicht aus der Panik.

    Vielleicht ist das der stille Ruf dieses Bundes:

    Erkenne das Heilige — mitten in der Zerstörung.
    Atme — bevor du handelst.
    Danke — bevor du begreifst.
    Vertraue — bevor du siehst.

    Gott wartet nicht, bis wir vollkommen sind.
    Er fängt bei uns an — da, wo wir gerade stehen.
    Zwischen Ruinen, Fragen, offenen Enden.

    Unser Auftrag?

    Nicht „Wir retten die Welt.“ ist der Auftrag an uns.
    Sondern:
    „Wir lassen uns rufen — in die Treue Gottes hinein.“

    Und Treue ist das Gegenteil von Resignation.
    Treue ist das Gegenteil von innerem Rückzug.
    Treue ist nicht Starrheit —
    sondern ein Herz, das bleibt, wo andere schon aufgegeben haben.

    Damit beginnt Bewahrung.
    Damit beginnt Heilung.
    Damit beginnt Hoffnung.
    Damit bleiben wir handlungsfähig.


    Vielleicht stehen Sie morgen oder übermorgen auf und spüren die Unsicherheit:
    Wie soll ich leben?
    Wie kann ich das Gute tun?
    Wie kann ich inmitten von Gewalt, Zerstörung, Klimakrise bestehen?

    Die Bibel hat eine Antwort:
    Schauen Sie auf den Regenbogen.
    Er ist ein Zeichen der Treue Gottes.
    Gott verlässt Sie nicht.
    Gott gibt die Erde nicht auf.

    Dann bitte ich Sie:
    Atmen Sie tief durch.
    Spüren Sie, dass Gottes Treue stärker ist als Ihre Angst.
    Spüren Sie, dass Gottes Treue stärker ist als die Gewalt dieser Welt.
    Spüren Sie, dass Gottes Treue Ihnen Orientierung gibt:
    nicht durch starre Regeln, sondern durch die Freiheit, die aus der Liebe erwächst.

    Ich wünsche uns, dass wir in dieser Woche den Regenbogen sehen.
    Egal, ob im Himmel, im Mitmenschen oder im eigenen Herzen.
    Damit wir daran erinnert werden, dass Gottes Bund stärker ist als alles Leid,
    dass seine Treue uns trägt,
    dass sein Geist uns Orientierung schenkt.

    So segne Sie der Gott des Lebens,
    der alle Kreatur und alle Menschen liebt,
    der sein Wort hält, der seinen Bund nicht vergisst,
    der Ihnen Kraft, Weisheit und Hoffnung schenkt – heute und alle Tage Ihres Lebens. Amen