Schlagwort: Hebräer

  • GOTT hört – hört GOTT?

    Predigt zu Hebräer 5, 7 – 9, gehalten am Sonntag Judika (26.03.2023) in der Unterensinger Michaelskirche

    Jesus hat in den Tagen seines irdischen Lebens sein Bitten und Flehen mit lautem Schreien und unter Tränen vor den gebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und er ist erhört worden, weil er es aus Ehrfurcht vor Gott tat. Obwohl er Sohn war, lernte er an dem, was er litt, den Gehorsam. Dadurch wurde er zur Vollendung gebracht und ist zum Urheber ewigen Heils geworden für alle, die ihm gehorsam sind.

    Lutherbibel 2017

    Gott hört.

    Gott hört die Klage seines Volkes in Leid und Unterdrückung in Ägypten. „der Herr hört mein Weinen“, spricht der Beter im Psalm (Ps 6,9). Gott hört das Seufzen der unerlösten Schöpfung. Gott hört uns, selbst, wenn wir nicht wissen, wie wir beten können. Gott hört.

    Aber was so selbstverständlich klingt, ist oft zutiefst fraglich.
    Hört Gott?
    Wie viele Gebete in und an Krankenbetten bleiben ohne Antwort.
    Wie viel Leid und Verzweiflung in der Welt bleibt unbemerkt.
    Von Gott und der Welt verlassen müssen sich die Menschen in der Ukraine fühlen.
    Wie kann das sein?

    Hört Gott?
    Immer wieder die Frage, ja, die Anklage:
    „Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien! Schweige nicht zu meinen Tränen!“ (Ps 39,13)
    „Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ (Ps 22,3)
    „Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.“ (Ps 69,4)

    Hört Gott?
    Manchmal ist kein Zeichen da, nicht die leiseste Antwort.
    Das Entsetzen ist groß, verlassen zu sein, vergessen, gleichgültig.
    Das Schlimmste wäre ein tauber Gott, kalt und beziehungslos.
    Es klingt in manchen der Psalmen, als wollten die Beter Gott verzweifelt wachrütteln und zu einer Antwort zwingen.
    Keineswegs sind wir immer gewiss, dass Gott uns hört.

    Menschen im Leid haben das Gefühl, dass Leere sie umgibt, Gleichgültigkeit, Nichts.
    Die Beter der Psalmen bedrängen Gott.
    Sie beten dennoch weiter.
    Sie schreien ihm noch ihr letztes verzweifeltes Warum ins Ohr.
    Sie sagen Gott, dass sie an ihm leiden, mit ihm nicht fertig werden, von ihm enttäuscht sind.
    Ihr Glaube ist zerrieben in schlimmen Erfahrungen.
    Aber sie warten trotz allem auf Antwort.
    Sie sind wie der Vater des kranken Kindes: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
    Oder wie Jakob, der mit Gott wie mit einer unheimlichen Macht kämpfen muss: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
    Unser Predigttext zeigt uns Jesus in einem solchen Ringen mit Gott.

    Jesus weint.

    Wir denken an sein Gebet am Abend vor seinem Tod.
    Da ist er nicht souverän und gelassen.
    Jesus hat Angst.
    Er sucht den Beistand seiner Freunde und steht allein da.

    Er fleht, er bittet, dass der Kelch des Leides an ihm vorübergehe.
    Immer wieder betet er und wird in diesem Fall nicht erhört.

    Wir meinen, irgendwann müsste Gott doch tun, was wir uns wünschen.
    Er muss doch unser Leid wenden, wenn wir ihn so inständig anflehen.
    Gott ist doch gnädig – er muss doch!
    Nein.
    Jesu Bitte um Verschonung vor dem Leid bleibt unerhört.

    Mancher meint:
    „Nun bin ich von Gott enttäuscht.
    Ich glaub nicht mehr an ihn.
    Er hat mir ja nicht geholfen, obwohl ich so sehr gebetet hab.“

    Hören Sie eines der „Gebete an unerträglichen Tagen“, geschrieben von der Theologin und Therapeutin Antje Naegeli:
    „Voller Entsetzen ist mein Herz angesichts der endlosen Schrecken, die du zulässt im Leben des Menschen, den ich liebe.
    Völlig hilflos zu sein vor so viel auswegloser Not bringt mich der Verzweiflung mehr als nahe.
    Ich bin wie gelähmt.
    Wo bist du, Gott?
    Warum lieferst du ihn so unermesslichem Leid aus?
    Du bist ein Gott, vor dem ich mich fürchte.
    Und doch kann ich vor dir nur zu dir flüchten.
    Bettlerin möchte ich sein vor dir, rufen und schreien, schreien und rufen, bis du dich erbarmst.“

    Jesus flüchtet vor Gott zu Gott.
    Er hört nicht auf zu rufen.
    Er schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
    Gott ist fern.
    Jesus ist gottverlassen.
    Und doch ruft er zu Gott.
    Jesus kennt unsere Angst.
    Er kennt alle Tiefen des Leides.
    In allem, was uns bedrängt, können wir auf ihn sehen, wissen wir: er versteht. Auf unseren Leidenswegen geht er mit uns.

    Dennoch hört Gott.

    Unser Predigttext spricht von Ostern, wenn er sagt:
    Gott hat Jesus erhört.

    Über unser Bitten und Verstehen hört Gott.
    Gott hört.
    Das sehen wir an Jesus.
    Das feiern wir an Ostern.
    Er beantwortet die Tränen, den Schrei, auch wenn Jesus den Kelch des Leids bis zum Ende trinken muss.

    Jesus „lernte an dem, was er litt, den Gehorsam.“

    Wir stellen uns Jesus oft als Lehrer vor.
    Er lernt auch.
    Er geht durch eine harte Schule des Leidens.
    Pädagogen sagen, wir lernen am besten in dem, was uns Freude macht.
    Aber wir wissen:
    Auch in Krisen und Leidenszeiten lernen wir.
    Das Leid zeichnet Spuren in unser Leben.

    Jesus lernt den Gehorsam.
    Er lernt hören, hören auf Gott, obwohl er Gottes Sohn ist.
    Er lernt auf seinem schweren Weg in der Kraft Gottes zu gehen.
    Er lernt: Gott gibt mir die Kraft, wenn es sein soll, was auch geschieht.
    Nie wendet Jesus sich ab und sucht eigene Wege.
    „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Dein Wille, Gott, geschehe.

    Hilf mir doch, ihn zu sehen.
    Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
    Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

    Jesus wehrt sich gegen das Leid und nimmt es doch an.
    Er weicht nicht aus.
    Er lässt sich ein auf das, was er noch nicht versteht.

    Jesus lernt hören und Gott erhört ihn.

    Ein glückliches erlösendes gegenseitiges Hören.
    Gott hört auf Jesus.
    Jesus hört auf Gott.

    So kommt auch unsere Klage zu Gott.
    So sammelt Gott unsere Tränen in seinen Krug, wie es einmal wunderschön heißt.

    Kein Wort verhallt ungehört.
    Kein Mensch wird überhört und übersehen.
    Kein Leid eines Menschen ist ein unbedeutender Kollateralschaden im großen Spiel.
    So gleichgültig geht die Welt am Leid einzelner Menschen vorbei.
    Fast unberührt hören wir die Zahlen der Opfer von Krieg, Gewalt, Hunger und Erdbeben.
    Aber Gott bleibt nicht unberührt.
    Gott hört und Gott leidet mit jeder und jedem von ihnen.

    Für alle, die auf Jesus hören, erschließt sich ewiges Heil, so heißt es dann.
    Gott hört uns, und nun sollen wir hören.

    „Ihr seid schwerhörig!“

    beklagt sich der Briefschreiber zwei Verse später.
    Wir sind oft wie taub für den Ruf unserer Mitmenschen und damit für Gott.
    Wir wollen nicht hören, wir stellen uns taub.
    Wenn es eine politische Botschaft aus dem Predigttext zu sagen gibt, dann wohl, dass wir uns nicht taub stellen können und dass wir keinem vertrauen dürfen, der gleichgültig über das Leid anderer hinweggeht oder gar zu Hass und Gewalt aufruft.
    Menschen in Not klopfen an unsere Tür und wir dürfen nicht unsere Ohren, Augen und Herzen zumachen, so als gingen sie uns nicht an.
    Wir wissen noch lange nicht, wie wir ihnen gerecht werden können, aber wir sollen es versuchen.

    Gott sei Dank:

    Gott hört.

    Keine und keiner ist ihm gleichgültig.
    Lernen wir zu hören, aufmerksam für unsere Mitmenschen und für Gott.

    Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

  • Predigt über Hebräer 11,1-2.39b-40; 12,1-3

    Predigt über Hebräer 11,1-2.39b-40; 12,1-3

    Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht

    Luterbibel Hebräer 11, 1

    So fängt unser heutiger Predigttext in der Lutherbibel an. Die Volxbibel übersetzt den ersten Vers aus Hebräer 11 mit:

    Wie geht das jetzt überhaupt, zu glauben?

    Glauben bedeutet, dass man auf etwas hofft und ganz fest darauf vertraut, dass es auch passiert, und dass man Sachen einfach weiß, obwohl man sie nicht beweisen kann.

    Volxbibel Hebräer 11,1

    In beiden Auslegungen ist mit dem Glauben ganz stark die Hoffnung verknüpft.

    Wer sich in der Welt eingerichtet hat.

    Wer die jetzige Weltordnung gut findet, der ist wunschlos und hoffnungslos glücklich.

    Hoffnungslos unglücklich ist derjenige, der nicht daran glaubt, dass sich seine Situation verändern könnte.

    Hoffende Menschen sind mit der Welt, so wie sie ist, nicht zufrieden.
    Sie sehnen sich nach einer anderen, einer neuen Welt.

    Heute ist Palmsonntag

    Jesus reitet nach Jerusalem,
    heute,
    genauso wie vor 2000 Jahren.

    Erinnert euch!

    Wir bereiten ihm den Weg,
    wir kommen ihm entgegen,
    wir rufen „Hosianna du Sohn Davids!“,
    wir reißen Palmenzweige ab und
    werfen sie auf den Weg und
    dann vergessen wir ihn.

    Wir werden mit ihm im Garten Gethsemane essen und trinken
    und wir werden weinschlafen.
    „Bleibet hier und wachet mit mir!“ ruft er uns zu,
    doch wir schlafen ein.

    Und dann werden wir ihn verleugnen, wenn er verurteilt wird.
    Wir werden weglaufen und nichts verstehen.
    Nicht nur die Jünger verstanden es nicht, wir verstehen es doch auch nicht.

    Wir haben Angst und laufen weg.
    Das gehört zur Passion.

    Und dann ist da der eine, mit Jesus am Kreuz, der sagen wird:
    „Jesus erinnere dich an mich, wenn du in dein Reich kommst.“

    Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft,
    und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

    Luther Hebräer 11,1

    Unsere Vorfahren hatten diese Art von Glauben,
    darum sind sie unsere Helden.
    Weil wir an Gott glauben und Ihm vertrauen,
    wissen wir,
    dass alles,
    was es auf dieser Welt gibt,
    von ihm gemacht wurde.
    Er hat einfach gesagt, dass es passieren soll, uns so ist das ganze Universum aus dem Nichts entstanden.

    Volxbibel Hebräer 11, 2-3a

    Die Ahnenreihe unserer Helden ist im heutigen Predigttext ausgespart worden.
    Dieser schöne, berührende und bewegende Teil im 11. Kapitel des Hebräerbriefes ist einfach zu lang.
    Wir haben in der Schriftlesung einen Auszug davon gehört.

    Es sind lauter biblische Gestalten und Glaubenszeugen.
    Abel, Noah, Abraham und Sarah, Jakob und Josef. Schließlich bricht der Briefschreiber ab und seufzt:

    Und was soll ich noch mehr sagen?
    Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten.

    Luther Hebräer 11, 32

    In Kapitel 12 Vers 1-3 hören wir

    Darunm auch wir:
    Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.
    Lasst uns laufen mit Geduld in den Kampf, der uns bestimmt ist,
    uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens,
    der,
    obwohl er hätte Freude haben können,
    das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
    Gedenkt an den,
    der so viel Wiederspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat,
    dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

    Luther Hebräer 12, 1-3

    Der Autor des Hebräerbriefes nennt diese vielen Geschichten und Gestalten:

    Eine Wolke von Zeugen.

    Das ist ein schönes Bild und zugleich eine Anspielung auf eine biblische Geschichte.

    Als sein Volk Israel aus der Sklaverei befreite, ist er selbst mitgegangen.
    Er ist mitgewandert auf dem Weg durch die Wüste und hin zum versprochenen Land der Freiheit.

    In Gestalt einer Wolkensäule.

    Mit dieser Wolkensäule sind die Helden der Bibel zu vergleichen.

    Und durch sie begleitet uns Gott selbst.

    Natürlich sagt er uns mit der Erinnerung an die Wüstenwanderung auch:
    Wir sind noch nicht am Ziel.
    Noch nicht im Reich Gottes.
    Nicht im Reich der Freiheit.
    Sondern wir sind noch unterwegs, müssen Durststrecken durchhalten.
    Wir müssen Durchhalten, Aushalten, Ausharren.

    Darum dürfen – nein – müssen wir hoffen.

    Nein, wir dürfen nicht glauben, dass es für unsere Welt keine Hoffnung gibt.

    Jesus Christus reitet nach Jerusalem, weil es eben noch lange nicht vollendet ist.
    Die Welt ist noch nicht so, wie sie sein könnte.
    Wir wünschen uns eine andere, eine bessere Welt.

    Gott will eine bessere Welt und dafür braucht er uns.

    Dich und mich.

    Er reitet nach Jerusalem in der Hoffnung,
    dass wir dieses Jahr nicht einschlafen,
    dass wir ihn dieses Jahr nicht verleugnen,
    sondern ausharren unter dem Kreuz.

    Er reitet nach Jerusalem in der Hoffnung,
    dass wir es schaffen,
    die Menschen zu sein,
    als die wir erinnert werden wollen.

    Menschen, die in der Wolke der Zeugen vorkommen.
    Menschen, an die sich Gott erinnert, wenn er in sein Reich kommt.

    Diese Menschen hatten eins gemeinsam:
    Gott freute sich voll über sie, weil sie ihm so sehr vertrauten.
    Und trotzdem haben sie das Versprechen, dass Gott allen gegeben hat, noch nicht zu ihren Lebzeiten erleben können.
    Denn Gottes Plan war besser als das.
    Er wollte, dass wir alle gemeinsam am Ziel ankommen.

    Volksbibel Hebräer 11, 39-40

    Unsere Mitmenschen brauchen uns.
    Die Welt braucht uns.
    Gott braucht uns.

    Jeden einzelnen Menschen.

    Denn ohne uns gibt es keine Zukunft.

    Gott braucht uns, erinnert euch daran!

    Amen.