Langenecks Welt

Ein Rätsel – Predigt zu Prediger 12, 1-8

Predigt in der Lutherkirche Nürtingen 17.10.2021

Mögen Sie Rätsel? Ich meine nicht Kreuzworträtsel oder Sudoku. Ich meine dies kleinen Rätselfragen, wie:

Ich habe einen Rücken aber kann nicht liegen.
Ich habe Flügel aber kann nicht fliegen
Ich kann laufen, doch habe ich keine Beine.
Wer bin ich?

Wissen Sie es?

Nun etwas schwieriger:

Die Hüter des Hauses zittern
und die Starken krümmen sich
und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind.
Finster werden, die durch die Fenster sehen.
Die Türen an der Gasse schließen sich.
Die Stimme der Mühle wird leise, wenn sie sich erhebt, wie wenn ein Vogel singt und alle Töchter des Gesangs sich neigen.
Wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege.
Wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt.

Was ist das?

Diese Rätsel steht in unserem Alten Testament im 12. Kapitel des Buches Koholet.
Koholet wird euch Prediger genannt.

Prediger? Vielleicht rumort es in ihrem Kopf.
Prediger,
Prediger, da war doch was? Richtig! „Alles hat seine Zeit!“

Ach ja, das Buch Koholet.
Alles hat seine Zeit.
Alles kommt immer wieder.
Letztlich ist alles menschliche Tun und Lassen nur eitel und Haschen nach dem Wind.

Irgendwie war das für mich immer genial an der Grenze zwischen Tiefsinnigkeit und Banalität.

Es ist um das Jahr 200 v. Chr. in Jerusalem. Kohelet beobachtet die Welt. Es sieht die Widersprüchlichkeit der Welt
Es sieht das scheinbar Immer-Wiederkehrende. Und fragt sich deshalb, ob das menschliche Tun im Ende nicht vergeblich ist.
Selbst die Suche nach Weisheit, dem höchsten Gut. Alles ist nur eitel und haschen nach dem Wind.

Was hat das alles mit dem Rätsel zu tun, werden sie sich fragen. Ja, was ist mit dem Rätsel?

Die Hüter des Hauses zittern
und die Starken krümmen sich
und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind.
Finster werden, die durch die Fenster sehen.
Die Türen an der Gasse schließen sich.
Die Stimme der Mühle wird leise, wenn sie sich erhebt, wie wenn ein Vogel singt und alle Töchter des Gesangs sich neigen.
Wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege.
Wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt.

Die Hüter des Hauses sind die Arme.
Die Starken sind unsere Beine.
Die Müllerinnen, von denen schon viele fehlen, sind unsere Zähne.
Die Augen sind die finster werdenden Fester.
Die sich schließenden Türen sind die Ohren.
Der weiß blühende Mandelbaum unsere Haare und die beladene Heuschrecke unser schwerer Gang. Nun ist die Lösung klar: Es ist das Alter.

Dieses Rätsel steht nicht für sich allein.
Es geht nicht nur um das Alter, sondern auch um die Jugend.
Der Lehrer Kohelet schreibt seinen Schülern

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, –

Er ist alt geworden der Prediger.
Er blickt auf das Leben und die Jugend zurück.
Wehmütig vielleicht, aber nicht resigniert. Letztlich ist alles vergänglich und vieles vergeblich.
Oft bleibt trotz aller Mühe nichts übrig.

Trotzdem können wir eine Weite erahnen. Eine Weite, die Gott uns in unser Herz gelegt hat.
Eine Sehnsucht, die wir spüren können. Wie wenn wir im herbstlichen Nebel ein Gefühl für die strahlende Sonne am blauen Himmel haben.
Nur wenige Meter über uns, obwohl uns diese graue Masse noch gefangen hält.

Es gibt mehr als unser tägliches Einerlei.

Kohelet erahnt das.
Oberflächlich scheint alles nur Haschen nach dem Wind. Doch da ist mehr! Während er das schreibt, alt und lebenssatt, spürt Koholet, dass er kurz vor der Erkenntnis steht. So wie wir manchmal spüren, dass jeden Moment der Nebel sich schlagartig verziehen wird und wir im Licht stehen werden.

Alles dreht sich im Kreis.
Trotzdem sind die Mühen nicht belanglos.

Genieße deine Jugend, lehrt er, aber bedenke, dass alles Konsequenzen hat und du Rechenschaft ablegen musst.

Das Leben besteht aus unzähligen vergeblichen Freuden und Sorgen.
Es wird aufgebaut und abgerissen,
geliebt und gehasst,
geweint und gelacht,
genäht und zerrissen,
Krankheit und Genesung.

Wir können uns darüber ärgern.
Wir können es verdrängen. Wir können aber auch mutig durch Leben gehen. „Geh hin und iss dein Brot mit Freuden,
trink deinen Wein mit gutem Mut;
denn dein Tun hat Gott schon längst gefallen“, denn auch das rät uns Koholet. Und wir können anderen zur Gabe Gottes, zum Lichtblick, zum Sonnenstrahl oberhalb des Nebels werden.
Zum Versprechen, dass doch nicht alles nur Haschen nach dem Wind ist.

Kohelet schreibt die letzten Zeilen seines Buches und gönnt sich dabei die kleine Eitelkeit, den Schülern ein Rätsel mit auf den Weg zu geben:

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.
Er lächelt.
Kohelet schließt die Augen, sieht das Licht und spürt den Frieden Gottes.
Der Friede Gottes, der größer ist als alle unsere menschliche Vernunft und Vorstellungskraft.

Amen

PS: Die Lösung des Rätsels vom Anfang:
Es ist die Nase.

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