Kategorie: Psalm

  • Ich seh was, was du nicht siehst

    Sommerpredigt 2024 über Psalm 84:

    „Ich seh was, was du nicht siehst!“
    Das kennen wir aus unserer Kindheit.
    Wir als Kinder haben es auf langen Autofahrten mit unseren Eltern gespielt.
    Und als Vater habe ich es oft mit meinen Kindern – auf langen Autofahrten – gespielt.
    „Ich seh was, was du nicht siehst!“

    Doch wenn aus „Ich seh was, was du nicht siehtst!“
    ein „Ich such was und finde es nicht!“ wird.
    Dann wird es manchmal zum Verzweifeln.
    Dann ist das Spiel nicht mehr lustig, sondern blöd.

    So geht es mir oft mit Gott.
    Gut dass es da die Psalmen gibt.
    Trauer, Zweifel, Freude, Angst, Dankbarkeit, Streit.
    Das können wir dort finden.
    Dort können wir fündig werden.

    Da kann aus einem „Ich such was und finde es nicht“,
    ein „Ich seh was!“ werden.

    Psalm 84

    Psalm 84 (EG W 734)

    Wohl denen, die in deinem Hause wohnen

    Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!

    Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn;

    mein Leib und Seele freuen sich

    in dem lebendigen Gott.

    Der Vogel hat ein Haus gefunden

    und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen –

    deine Altäre, Herr Zebaoth,

    mein König und mein Gott.

    Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;

    die loben dich immerdar.

    Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten

    und von Herzen dir nachwandeln!

    Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund,

    und Frühregen hüllt es in Segen.

    Sie gehen von einer Kraft zur andern

    und schauen den wahren Gott in Zion.

    Herr, Gott Zebaoth, höre mein Gebet;

    vernimm es, Gott Jakobs!

    Gott, unser Schild, schaue doch;

    sieh doch an das Antlitz deines Gesalbten!

    Denn ein Tag in deinen Vorhöfen

    ist besser als sonst tausend.

    Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause

    als wohnen in der Gottlosen Hütten.

    Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild;

    der Herr gibt Gnade und Ehre.

    Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.

    Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt!

    Psalm 84,2-13

    Wie lieblich sind deine Wohnungen.
    Wie sehnt sich einer danach.
    Wie möchte einer dort sein.
    Wie möchte einer dort sein, wo Gott ist.

    So viel Verlangen und so viel Sehnsucht:
    Meine Seele verlangt und sehnt sich.
    Meine Seele verlangt und sehnt sich nach so viel.
    Meine Seele verlangt und sehnt sich, dass Menschen geliebt werden.
    Dass Menschen sich gegenseitig lieben.

    Meine Seele verlangt nach Friede in der Welt.
    Unter den Menschen. Mit der Natur. Mit der Erde. Nach Shalom.

    Meine Seele verlangt und sehnt sich nach dem Genug.
    Meine Seele verlangt danach, dass einer sagt: „Es wird alles gut“.
    Meine Seele sehnt sich nach Ruhe und nach Zuversicht, nach Hoffnung und nach Stärke.
    Und wenn der Alltag um mich herum tobt, verlangt und sehnt sie sich nach Kraft.

    Meine Seele verlangt und sehnt sich.
    Sie träumt sich fort an einen Ort:

    Meine Seele verlangt und sehnt sich nach der Nähe Gottes.
    Nah an dem Ort zu sein, wo er ist.
    Wo er wohnt (wie man sagt),
    Nach den Vorhöfen des Herrn.
    Dahin, wo alles gut ist.
    Wo es keine Sehnsucht mehr gibt.
    Wo andere sind:
    Der Vogel, die Schwalbe,
    mein Leib und meine Seele.
    Wo ich bin. Weil er ist.
    Wo es Raum gibt für uns.

    Meine Seele verlangt und sehnt sich.
    Vogel und Schwalbe sind schon längst da.
    Wir fliegen hinterher:
    „Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus,
    Flog durch die stillen Lande,
    Als flöge sie nach Haus.“ (Eichendorff)

    Meine Seele verlangt und sehnt sich.
    Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar.

    Stell dir mal vor:
    Du gehst durch dürres Land.
    Über gerissene Erde. Ein ausgetrocknetes Bachbett.
    Es ist heiß.
    Die Hitze glüht.
    Durst auf deiner Zunge.
    Schweiß am ganzen Körper.
    Vertrocknete Blätter an den Bäumen.
    Verbrannte Gräser und Sehnsucht.

    Sehnsucht nach dem, was einmal war.
    Sehnsucht nach dem, was sein könnte.
    Und Erschöpfung, weil es so nicht ist.
    Traurigkeit über das, was verloren.
    Schon so lang oder noch ganz frisch.

    Dein Herz manchmal wie ausgetrocknet.
    Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln!
    Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund:
    Hörst du es auch?

    Dort, ganz leise, ein Gluckern.
    Ein Plätschern und ein Singen.
    Du gehst ihm nach.
    Immer weiter.
    Bis du an die Quelle kommst.

    „Ich seh was, was du nicht siehst!“

    Noch ist sie ganz klein – die Quelle.
    Du hast sie gehört.
    Und nun siehst du:
    Sie bahnt sich ihren Weg.
    Sie wird das Leben bringen.
    Wird Fülle bringen, die du so lange vermisst hast.
    Mit ihrer kleinen Kraft.
    Mit ihrer Lebenskraft.

    Es ist Nacht geworden.
    Und dann wieder Tag.
    Über Nacht ist Erlösung gekommen:
    Und Frühregen hüllt es in Segen.

    Sie gehen von einer Kraft zur anderen und schauen den wahren Gott in Zion.

    Mit Schwung gehst du weiter.
    Wie damals, als du als Kind von einem Stein zum anderen gehüpft bist.
    Leicht in die Knie, Schwung, Absprung, los, gelandet.

    Und wieder:
    Leicht in die Knie, Schwung, Absprung, los, gelandet.

    Von einem Stein zum anderen.
    Und immer weiter. Immer weiter.
    Von einer Kraft zur anderen.
    Du hast ein Ziel.
    Ganz am Ende deines Wegs.
    Ganz am Ende deiner Reise.
    Das treibt dich an.
    Der letzte Stein, und dann:
    Der Arm des Vaters, das Jubeln der Mutter.
    Hurra, hurra, mein Kind, geschafft!

    Zu schauen den wahren Gott in Zion.
    Wohl dir, du Seele.
    Er wird’s wohl machen.

    Gutes dir:
    Träume, die sich erfüllen.
    Dann und wann.

    Liebe, die leben darf.
    Ein Gegenüber.
    Vielleicht du selbst.
    Oder der Liebste.
    Das Kind und das Kindeskind.
    Die Nachbarin.
    Eine Umarmung.
    Ein Händedruck.
    Ein Lächeln im Gesicht.
    Sonne, die dir scheint.
    Gerade recht.
    Du legst dich hinein.
    Ganz warm auf deiner Haut.
    Sie lässt das Getreide auf den Feldern wachsen und macht die Erdbeeren süß und die Äpfel sind schon reif.

    Wasser, das dir fließt.
    Nicht zu viel, nicht zu wenig.
    Kühl rinnt es durch deine Finger.
    Ein Schluck, der belebt.
    Kein Durst und keine Not.
    Und ein Stück Brot für jeden Tag.
    So ziehen wir dahin.
    In ein Zuhause.
    Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.
    Schutz.
    Schild.
    Für deine Seele und für dich.
    Wo du sein kannst, wie du bist.
    Und ich auch.

    Zuhause sein.
    Ankommen.
    Last fällt ab.
    Da willst du bleiben.
    Und ich auch.
    Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
    Segen dir.
    Er wird’s wohl machen.
    12 Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild; /
    der Herr gibt Gnade und Ehre.
    Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
    13 Herr Zebaoth,
    wohl dem Menschen,
    der sich auf dich verlässt!
    Gott hört dein Gebet.
    Er vernimmt es, der Gott Jakobs.
    So flüstern sie uns zu, die Psalmen.

    Die uralten Worte.
    Jahrhunderte sind vergangen.
    Und Jahrhunderte sind in ihnen verborgen.
    Worte sind aufgestiegen wie Rauchopfer von den Altären.
    Schwalben haben gebrütet und Nester sind verschwunden.
    Zerstört und wieder errichtet.
    Jahrhunderte sind vergangen.
    Die Psalmen:
    Fremd und fern.
    Und seltsam nah:
    Ruth hat sie gebetet und Isaak.
    Nathanael und Rebekka.
    Später haben sie geliehen: Hildegard und Martin.
    Du und ich.
    Und unsere Kinder.
    Jedes Jahr wieder.

    Psalm 84, im Gesangbuch die Nr. 734.
    Wir beten mit.
    Beten mit den Gebeten Israels.
    Teilen die Sehnsucht und die Hoffnung.
    Die Freude und die Gnade.
    Wir sind auf dem Weg.
    Pilgernde bis in die Ewigkeit.
    Hoffen mit auf den lebendigen Gott.
    Hoffen, dass wir teilhaben am Segen:
    Herr Zebaoth,
    wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt.

    Ein „Ich seh, was, was du nicht siehst!“
    Amen