Kategorie: Markus

  • Jesu Familie -Predigt zu Markus 3,31-35

    Jesu Familie -Predigt zu Markus 3,31-35

    Predigt für 13. Sonntag nach Trinitatis 14.09.2025 in Frickenhausen

    I. Szene – Draußen auf der Straße

    Draußen auf der Straße:

    Ein heißer Nachmittag.
    Die Sonne brennt.
    In der Luft flimmert die Hitze.
    Jeder Atemzug ist schwer.
    Auf der Straße liegt Staub, der bei jedem Schritt aufwirbelt und sich wie ein Film auf Haut und Kleidung legt.

    Vor einem Haus in Kafarnaum steht eine Frau. Maria.
    Ihre Hände spielen unruhig mit dem Saum ihres Mantels.
    Ihre Augen wandern immer wieder zur Tür.

    Neben ihr die Geschwister Jesu.
    Sie sind gekommen, weil sie sich Sorgen machen.
    Maria – die Mutter.
    Sie denkt zurück:
    an das Kind in der Krippe,
    an den Jungen im Tempel,
    an die Hochzeit zu Kana.
    Und jetzt?

    Ihr ältester Sohn ist unterwegs, predigt, heilt und zieht die Massen an.
    Doch zugleich wächst der Widerstand.
    Die Schriftgelehrten halten ihn für gefährlich.
    Die Verwandten hören Gerüchte, dass er „von Sinnen“ sei.

    Vor ein paar Tagen wollte sie zusammen mit ihren anderen Söhnen Jesus mit sanfter Gewalt nach Hause bringen.
    Das war der falsche Weg.
    Das hat Maria eingesehen.

    Nun möchte Maria Jesus sehen.
    Sie will ihn zur Seite nehmen.
    Sie will ihn schützen.
    Sie möcht ihn überreden.
    „Komm doch heim.
    Jesus.
    Wir haben Angst um dich.“,
    das möchte sie ihm sagen.

    2. Szene – Drinnen im Haus

    Drinnen im Haus:

    Es ist stickig, eng.
    Schweiß mischt sich mit dem Duft von frisch gebackenem Brot, der von draußen hereinweht.
    Die Menschen drängen sich dicht an dicht.
    Überall sitzen sie.
    Stehen an den Wänden
    Drängen sich nach vorn.
    Es ist kaum Platz zum Atmen.
    Ellenbogen stoßen in Rippen.
    Ein Kind klettert auf die Schultern des Vaters, um besser sehen zu können.
    Frauen stehen am Rand, ihre Tücher in der Hand, um sich Luft zuzufächeln.

    Alle wollen nahe bei Jesus sein.
    Sie hängen an seinen Lippen.
    Sie greifen nach seinen Händen.
    Sie warten, dass er wieder ein Wort spricht.
    Dass er ein Wunder tut.

    Plötzlich ein Raunen.
    Ein Bote drängt sich durch die Menge.
    Er setzt seinen Ellbogen ein.
    Er kämpft sich vor.
    Sein Atem geht schnell, er ringt nach Luft, als er endlich vor Jesus steht.
    „Deine Mutter und deine Brüder sind draußen.
    Sie fragen nach dir.
    Sie wollen dich sprechen“

    Alle Blicke wenden sich Jesus zu.
    Natürlich.
    Jetzt steht er gleich auf.
    Die Familie geht vor.
    Immer.
    Die Mutter. Die Brüder und Schwestern.
    Das weiß doch jedes Kind in Israel.

    Und dann – Stille.
    Jesus rührt sich nicht.

    Er hebt den Kopf.
    Seine Augen schweifen über die Menge.
    Es sieht Männer und Frauen,
    Arme und Kranke,
    Suchende, Zweifelnde.
    Es sieht Mensch, die gekommen sind, weil sie sich nach Heilung sehnen, nach Hoffnung, nach Wahrheit.

    Da fragt er: „Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Brüder?“
    Und ohne wirklich auf eine Antwort zu warten,
    streckt er die Hand aus und zeigt auf die, die um ihn herum sitzen.
    Auf die Jünger, die Zuhörer, die Frauen und Männer am Rand.

    Und er beantwortet seine Frage selbst:
    „Seht: Das hier ist meine Mutter und meine Brüder.
    Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter.“

    3. Szene – Der Schock

    Ein Schock geht durch die Menschen.
    Es ist, als ob jemand einen Stein ins Wasser geworfen hätte.
    Ein Schock, der Wellen durch die Menge treibt.
    Köpfe fahren herum.
    Augen weiten sich.
    Ein Murmeln geht durch die Reihen:
    „Hat er das wirklich gesagt?“
    Ein Aufschrei im Inneren:
    „Das kann er nicht gesagt haben!“

    Es ist ein Skandal.
    Die jüdische Tradition kennt nichts Wichtigeres als die Familie.
    „Ehre Vater und Mutter“ – das vierte Gebot.
    Ein Gebot, das wie ein Fundament das Haus trägt.

    Und Jesus?
    Er stellt es infrage.

    Der jüdische Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin stellt fest:
    Jesus beleidigt mit diesen Worten den Familiensinn der Juden.

    Und ehrlich – uns verletzt es auch.

    Stellen sie sich vor – ihr Sohn, ihre Tochter stünde hier und würde öffentlich sagen:
    „Das ist nicht meine Mutter.
    Das ist nicht mein Bruder.
    Meine wahre Familie sitzt um mich herum.“

    Wer von uns würde das ertragen?
    Wir wären enttäuscht.
    Wir wären verletzt.
    Wir wären vielleicht verzweifelt.

    Famile, das ist doch das Heiligste.
    Oder?
    Blut ist dicker als Wasser.
    Die Mutter, die ihr Kind trägt.
    Der Vater, der arbeitet, um das Kind groß zu ziehen.
    Die Geschwister, die sich streiten und doch zusammenhalten.

    4. Szene – Die Härte

    Wir könnten jetzt sagen:
    „Das geht nicht.
    Jesus ist hier zu hart.
    Das akzeptieren wir nicht“

    Und doch – diese Worte stehen da.
    Und nicht mur bei Markus.
    Auch Matthäus und Lukas berichten es
    Fast wortgleich.
    Sie alle wollten, dass wir es hören.

    Matthäus fügt hinzu:
    „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ (Mat. 10,37)
    Noch härter Lukas:
    „Wer nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder hasst, kann nicht mein Jünger sein.“ (Luk. 14,26)

    Das ist hart.
    Diese Worte brennen.
    Sie tun weh.
    Ich möchten am liebsten sagen: „So etwas wollen wir von Jesus nicht hören.“

    Aber warum haben die Evangelisten diese Worte nicht einfach weggelassen?
    Warum stehen sie da?
    Mitten in der Heiligen Schrift?
    Mitten in unserem Predigtplan?
    Heute, an diesem Sonntag?

    Jesu Worte sind wie ein Messer, das durch alte Bindungen schneidet.
    Sie treffen ins Herz.
    Sie tun weh.

    Und doch öffnen sie auch etwas – wie ein Schnitt, der Luft an eine Wunde bringt.
    Jesus übertreibt.
    Radikal.
    Damit wir aufwachen.

    5. Szene – Der Konflikt in uns

    Jesus mutet uns etwas zu.
    Etwas, was wir nicht gerne hören möchten.
    Er will uns aufrütteln.
    Er zwingt uns, über die Reihenfolge im Leben nachzudenken.

    Er sagt:
    „Erst Gott – dann die Familie.
    Erst der Wille des Vaters.
    Dann das, was die Menschen von uns wollen.

    Das ist kein Aufruf zur Lieblosigkeit.
    Es ist ein Aufruf zur Klarheit.
    Zur Freiheit.

    Es ist, als ob Jesus uns einen Spiegel hinhält – und plötzlich sehen wir nicht nur unser Gesicht, sondern auch die Fesseln, die uns halten.

    6. Szene – Der Spiegel

    Schauen wir in den Spiegel.
    Ganz ehrlich.

    Wir alle leben in „Familen“.
    Nicht nur in der biologischen.

    Es gibt die Familie der Firma, die uns sagt:
    „So musst du arbeiten.
    So musst du funktionieren.“
    Da ist dieser Blick auf die Stempeluhr, die uns sagt, wann wir wertvoll sind.

    Es gibt die Familie der Nachbarschaft.
    Da sind die Gardinen, die sich heben, wenn jemand anders lebt, anders liebt, anders glaubt.
    „So lebt man hier.
    So feiert man hier.
    So redet man hier.“

    Es gibt die Familie der Schule.
    „So ist unsere Klasse.
    So gehen wir miteinander um“

    Und es gibt die Familie der Kirche.
    Da ist das ehrwürdige Gesangbuch, das zu Fesseln werden kann, wenn es nicht mehr zum Singen, sondern nur noch zum Bewahren dient.“

    Und wir kennen den Druck:
    „Sei so wie wir.
    Mach, was wir erwarten.
    Sei loyal.
    Sei angepasst.“

    Dagegen sagt Jesus:
    „Hör zuerst auf den Willen Gottes.“

    Das ist unbequem.
    Das kann isolieren.
    Das kann kosten.
    Das bedeutet:
    Manchmal musst du Nein sagen.
    Nein zu den Erwartungen der Eltern.
    Nein zum Druck der Firme.
    Nein zu den stillschweigenden Regeln der Gesellschaft.
    Nein sogar zur eigenen Gemeinde, wenn sie dich vom Weg abbringt.

    7. Szene – Ein Zeuge: Friedrich Spee

    Einer, der dieses Nein gelebt hat, war Friedrich Spee – ein Jesuit im 17. Jahrhundert.
    Er sah Frauen, die als Hexen angeklagt wurden.
    Die Frauen wurden gefoltert, gebrochen, verurteilt, verbrannt.
    Und er wusste: Das ist nicht der Wille Gottes.

    Die „Famile Kirche“ schwieg.
    Die „Famile Gesellschaft“ jubelte.
    Alle waren überzeugt: Das ist Recht und Ordnung.

    Aber Fiedrich Spee wagte das Ungeheuerliche:
    Er Widersprach.
    Er begleitete die Frauen auf ihrem Weg zum Richtplatz.
    Er hörte ihre Schreie.
    Er wagte es, ein Buch zu schrieben – die Cautio criminalis.
    Ein Aufschrei gegen Folter und die Hexenverbrennung.
    Unter falschem Namen, denn es war sehr gefährlich gegen den Chor seiner Zeit zu schreiben.

    Seine Stimme war leise – aber sie durchbrach den Chor des Schweigens.
    Wie eine einzelne Flamme inmitten einer Finsternis.

    Als der Autor doch bekannt wurde, musste Friedrich Spee mit den Konsequenzen leben.
    Die Kirche verstieß ihn.
    Seine Mitbrüder entzogen ihm die Professur.

    Doch Friedrich Spee war frei.
    Frei gegenüber der Tyrannei falscher Familien.
    Frei, weil er wusste:
    Meine wahre Familie ist die, die den Willen Gottes tut.

    Und er schrieb Lieder, die wir bis heute singen:
    „O Heiland reiß die Himmel auf.“
    „Zu Bethlehem geboren.“
    Lieder, in denen eine Freiheit erklingt, die stärker war, als die Fesseln seiner Zeit.

    8. Szene – Was heißt das für uns?

    Was heißt es also, Jesus zu folgen?

    Zuerst, es heißt nicht, die Familie gering zu schätzen
    Sondern es heißt:
    Sich nicht gefangen nehmen zu lassen.

    Nicht gefangen in Erwartungen, die uns knechten.
    Nicht gefangen in Traditionen, die uns fesseln.
    Nicht gefangen in Angst, die uns lähmt.

    Es heißt: freu zu werden.
    Frei für den Willen Gottes.
    Frei für eine Famile, die größer ist als Blut und Herkunft.
    Frei für eine Gemeinschaft, die keine Grenzen kennt:
    Brüder und Schwestern aus allen Völkern, allen Sprachen, allen Kulturen.

    Und genau hier trifft sich unser Predigttext mit dem heutigen Sonntag.
    Denn der 13. Sonntag nach Trinitatis stellt uns die Frage:
    Für wen bin ich der Nächste?

    Jesu neue Familie entsteht da, wo Menschen den Willen Gottes tun – und das bedeutet:
    den Nächsten sehen.
    Nicht wegschauen, wenn jemand leidet.
    Nicht sagen: „Das geht mich nichts an.“
    Sondern mit Liebe handeln – so wie der Barmherzige Samariter.

    Und das ist radikal.
    Es ist, als ob Jesus die Fenster unserer engen Häuser aufstößt – und frische Luft hereinweht.

    Und es ist radikal inklusiv.
    Denn es heißt:
    Jeder und Jede kann Teil von Jesu Familie werden.
    Niemand bleibt draußen – es sei denn aus eigenem freien Willen.

    9. Szene – Die Einladung

    Und so ist es heute wie damals in Kafarnaum.
    Jesus sitzt mitten unter uns.
    Er schaut uns an – in die Gesichter, die hier im Kreis um ihn sitzen.
    Er breitet seine Hand aus und sagt:

    „Siehe, das ist meine Mutter.
    Das ist meine Schwester.
    Das ist mein Bruder.

    Wenn du nach dem Willen Gottes fragst,
    wenn du ihn suchst,
    wenn du ihn lebst,
    dann gehörst du zu meiner Famile.

    Dann bist du nicht allein.
    Dann bist du getragen.
    Dann bist du frei.
    Und wirst zum Nächsten – für die, die dich brauchen.“

    10. Schluss

    Friedrich Spee nannte eines seiner Gedichte „Trutznachtigall“ – trotzige Nachtigall.

    Eine Nachtigall,
    sie singt, obwohl es Nacht ist.
    Sie jubelt während die Welt im Dunkeln lieg.
    Ihr Lied ist zart und zugleich trotzig stark.

    So klingt die Familie Jesu.
    Ein Gesang, trotzig, gegen die Angst.
    Ein Gesang gegen die Enge,
    gegen die Nacht.

    Wir bilden eine Gemeinschaft, Jesu Familie.
    Eine Familie, die frei macht von allen falschen Familien.
    Eine Familie, die uns trägt –
    und die uns sendet, Nächste zu sein für andere.

    Heute.
    Und in Ewigkeit.
    Amen

  • Sind Steine nicht stumm?

    Predigt auf den Friedhöfen Altenriet und Schlaitdorf am Ostermorgen 2023

    Doch, aber je nach dem, wo sie liegen, wo man sie findet, in welchen Redewendungen sie vorkommen, da sprechen sie mit uns.
    Da erahnen wir etwas von den Geschichten, die hinter ihnen stecken. Von denen sie ohne Worte erzählen.

    Steine begleiten unser Leben
    Wir sagen:
    Dieser Mensch hat ein Herz aus Stein.
    Da legt einer einem anderen Steine in den Weg.
    Das ist zum Steinerweichen.
    Da ist einer vor Schmerz wie versteinert.
    Das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
    Da fällt einem ein Stein vom Herze.

    Nicht nur im übertragenen Sinn, auch ganz real begleiten Steine unseren Weg- mit einer Botschaft an uns.

    Da sind die großen Steine, die Felsen, in denen wir gern wandern.
    Viele haben Zuhause schöne Steine, die sie aus dem Urlaub mitgebracht haben. Erinnerungssteine.

    Und es gibt Grabsteine.
    Auch diese sind Erinnerungssteine.
    Sie erzählen von denen, die dort im Grab liegen.

    Auf den Steinen stehen ihre Namen, ihr Geburts- und Sterbedatum.
    Vielleicht ist auch ein Symbol darauf zu sehen: Eine Sonne, eine Weintraube, ein Kreuz.
    Auch hier auf unserem Friedhof sind solche zu sehen.

    In Israel wurden die Toten einst in Höhlen im Felsen bestattet.
    Ein solches Felsengrab wurde für Jesus zur letzten Ruhestätte.
    Der Höhleneingang wurde verschlossen, damit kein Unbefugter in die Höhle hineingehen konnte.
    Oft wurde dabei ein riesiger, zurechtgeschlagener Stein auf einer besonderen Konstruktion vor den Eingang gerollt.
    Das Grab Jesu wurde verschlossen, nachdem er freitags gestorben war.
    Als dann der Sabbat, unser Samstag, vorüber war, machten sich drei Frauen auf den Weg zur 3 Grabhöhle.
    Und was dann geschah, das hören wir jetzt aus Markus 16, 1-7.

    1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. 5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.

    Luther Bibel 2017 Markus 16, 1-7

    Drei Frauen haben sich auf den Weg gemacht.
    Sie wollen zum Grab Jesu, das mit einem Stein verschlossen ist.
    In ihrer Vorstellung ist der Stein nicht nur groß, sondern riesig.
    Mächtig, nicht allein zu bewältigen.
    Sie werden sicher zu schwach sein, um ihn selbst beiseitezuschieben.

    Ich würde die drei Frauen jetzt gerne fragen:
    „Habt ihr nicht früher an diesen Stein gedacht?
    Ihr hättet doch einige starke Männer mitnehmen können.
    Wolltet ihr das nicht?

    Oder habt ihr keinen gefunden, der diesen Weg mit euch auf sich nehmen wollte?
    Ja, warum seid ihr dann überhaupt losgegangen?

    Wir werden keine Antwort auf diese Fragen bekommen.
    Aber vielleicht war in den Frauen so ein unerklärbarer Funke an Hoffnung.
    Fast erloschen, aber doch noch am Glimmen.
    Ein Funke, der sie beflügelt hat.
    Ein Urvertrauen gegen allen Augenschein.

    Ein Vertrauen, dessen Wurzel in den Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht haben, seinen Ursprung hat.

    Und dann stehen die drei Frauen plötzlich vor dem Grab.
    Und denken vielleicht immer noch an den Felsbrocken, der viel zu groß ist und zu schwer, um ihn jemals bewältigen zu können.

    Sie heben den Kopf- und sehen dem vermeintlichen Problem ins Auge.

    Und bemerken, dass es gar nicht existiert.
    Einen Moment sind sie wie erstarrt.
    Und dann ist ihnen wohl buchstäblich „ein Stein vom Herzen gefallen.“
    Sie erleben hautnah, dass Christus auferstanden ist.

    Wünschen wir uns nicht auch diese Erfahrung?
    Ein Stein fällt von unserem Herzen, von unserer Seele.
    Wir können aufstehen, weil uns eine schwere Last abgenommen ist.

    Wir sind dazu eingeladen.
    Immer wieder, und zu Ostern ganz besonders.
    Gerade auch hier auf dem Friedhof mitten zwischen den Steinen, die die Gräber noch verschließen.

    Wir sind eingeladen, aufzustehen aus unserer Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit.
    Weil Jesus auferstanden ist, ist der Stein ins Rollen gekommen, der Weg freigemacht.
    Der Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft.

    Lassen wir uns anstecken von Maria und Maria und Salome, den drei Frauen, die losgingen im Dunkeln, bevor der Weg deutlich zu erkennen war.
    Die weitergingen, obwohl ihr Ziel unerreichbar, ihr Problem unlösbar schien.

    Lassen wir uns anstecken von den Frauen, die, wie auch wir so oft, fast schon vergessen hatten, dass Gott noch ganz andere Möglichkeiten hat als wir uns vorstellen können.
    Und die trotzdem, vielleicht auch nur mit einem winzigen Funken Vertrauen am Ostermorgen erfahren durften, dass Jesus lebt.
    Dass das Leben stärker ist als der Tod.

    Früher, so habe ich gelesen, wurde der Funke zum Entzünden des Osterfeuers aus einem Stein geschlagen.
    Ein Funke, der auch uns und unsere Umgebung wieder entzünden kann, so dass wir neu und wieder mit Begeisterung für die Sache Jesu eintreten.
    Und so vielleicht mithelfen können, dass bei dem einen oder anderen ein Stein vom Herzen fällt.

    Und so wollen wir nun das Licht der Osterkerze entzünden.
    Wir entzünden es für alle, die einen steinigen Weg gehen müssen.
    Für alle, die schweren Herzens in die kommende Zeit hineingehen müssen.
    Wir entzünden das Osterlicht für uns alle.
    In der Freude darüber, dass Jesus auferstanden ist.

    Dass Jesus lebt und für uns da ist.
    Für uns alle da ist.

  • Wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Diener sein – Predigt zu Markus 10, 35-45

    Wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Diener sein – Predigt zu Markus 10, 35-45

    I. Immer erster sein

    Erster!  

    Triumphschrei in der Küche.  
    Zwei wilde Jungs kämpfen um den ersten Platz am Tisch.  
    Heute gibt es Pfannkuchen.  
    Ihr Lieblingsessen. 

    Erster sein.  

    Es steckt den Menschen in den Knochen:  
    Selbst im Dorf von Asterix und Obelix wird der Erste, der Chef Majestix auf einem Schild getragen und überragt dadurch – sofern er nicht, wie so oft, herunterfällt – alle anderen.  

    Erster sein – darin vermuten Menschen seit jeher Segen: 
    Jakob erlangt mit einer List und mütterlicher Hilfe das Recht des Ersten auf den väterlichen Segen.  

    Eltern nehmen viel Mühen auf sich, damit ihre Kinder zu den »Ersten« gehören:
    Damit sie auf die angeblich »höhere« Schule gehen können.
    Denn später werden nur die »Ersten« eines Jahrgangs die beliebtesten Studienplätze, die besten Ausbildungsplätze bekommen. 

    Die Ersten auf dieser Welt haben meine Anerkennung für ihren Einsatz und ich möchte nicht mit ihnen tauschen.  
    Regierungschefinnen und Regierungschefs sind zwar die »Ersten« ihres Landes, aber ihre Freude über die Erst-Platzierung wird nach der Wahl schon bald vergessen sein angesichts der Verantwortung und der Belastungen. 

    Dennoch – und angesichts unserer Demokratie sage ich »Gottseidank« – gibt es Menschen, die auf die ersten Plätze wollen und Verantwortung übernehmen in der Leitung von Schulen oder Firmen oder eben in der Politik. 

    II. Wer hat Führungsqualitäten

    Welche Charaktereigenschaften man dafür haben sollte, darüber gibt es eine Erzählung in der Bibel:  
    (Lesung des Predigttextes: Mk 10,35-45

    Führungsqualitäten hat, wer dienen kann – in den Augen Jesu. 

    Darum heißen Minister übersetzt nichts anderes als »Diener«, Staatsdiener: sie dienen den Menschen in diesem Land.  
    Wenn die »Ersten« in der Politik, die gewählten Ersten beim »Händeaufhalten« erwischt werden, leidet die Demokratie:
    Das Vertrauen der Menschen in ihre politischen Vertreter und Vertreterinnen verschwindet. 

    Wer unter euch der Erste sein will, der soll euer Diener sein.  

    In der Kirche Jesu Christi hat das Dienen Tradition: 
    Nicht nur in der katholischen Kirche gibt es Mönche und Nonnen im Dienst der Nächstenliebe.  
    Auch in der evangelischen Kirche gab und gibt es Menschen, die um »Gotteslohn« arbeiten:  
    Ehrenamtlich. Aber auch hauptberuflich:  

    »Mein Lohn ist, dass ich dienen darf« – das ist der Leitspruch der Diakonissen.  
    Bei ihrer Einsegnung erklären die Frauen im schwarzen Kleid und weißer Haube: »Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.«  
    Die Hand haben sie nur aufgehalten, damit ein anderer die seine hineinlegen konnte. 

    Sichern solche Lebensmodelle den besten Platz im Himmel?
    Die Diakonissen und die vielen in der Kirche in pflegerischen Berufen würden das – glaube ich – weit von sich weisen.  

    Wieso steht dann dieser seltsame Streit um die besten Plätze neben Jesus in der Bibel? 

    III. Links und Rechts von Jesus

    Schauen wir noch einmal genau hin:  

    Zwei Brüder beim Kampf um die ersten Plätze im Himmel.  
    Wie Kinder fragen sie Jesus heimlich, ob er ihnen etwas versprechen könnte.  
    Und wie Eltern, die solche Fragen von ihren Kindern kennen, fragt Jesus erst einmal zurück, was sie denn wollten. – 
    »Neben dir sitzen!«
    Ich finde, das ist doch eine ganz normale Frage für Kinder.  
    Das drückt doch ihre Zuneigung und Liebe aus. Und Platz wäre da für jeden der beiden Brüder:  
    Links und rechts von Jesus. 

    Sie malen sich das bestimmt schön aus:  
    Wie sie da am Tisch im Reich Gottes sitzen, an der Längsseite, dort wo immer der Ehrengast sitzt.  
    Und rechts und links schmiegen sie sich an Jesus, schauen zu ihm auf und – manchmal auf die anderen am Tisch mit diesem leisen Triumph in den Augen:  

    Erster bei Jesus, ihm ganz nah.
    Sie wären auch bereit, sagen sie, etwas dafür zu tun:  
    In die Nachfolge,  
    in die Leidensnachfolge Jesu einzutreten,  
    den Kelch zu trinken, den er zu trinken hat und  
    sich taufen zu lassen mit der Taufe, mit der Jesus getauft wird.  

    Sozusagen die Feuertaufe zu bestehen, den Test, ob sie es wirklich ernst meinen mit ihrer Liebe. 

    Das ist viel.  

    Mehr als wir uns wahrscheinlich zutrauen würden, wenn wir wählen müssten zwischen Christusbekenntnis und Leben.

    IV. Geschichte des Christentums

    Ich stelle mir vor, wie man sich in den ersten christlichen Gemeinden Gedanken darüber gemacht hat: 
    Was passiert, wenn man wegen seines Glaubens sterben muss, wenn man den gleichen Kelch trinken muss wie Jesus?
    Ob man so standhaft sein wird, so glaubensstark? 

    Und ich stelle mir vor, wie sich nach den ersten Verfolgungen die Christen gefragt haben:  
    Wo sind die Verstorbenen, die Märtyrer um Christi willen jetzt?
    Ob der oder die jetzt einen Platz an der Sonne haben, nach der Finsternis der grausamen Todesstunden?
    Wer von ihnen bekommt den Platz neben dem Herrn?

    In der Geschichte des Christentums hat sich dann daraus die Heiligenverehrung entwickelt und später die Vorstellung, dass man zu Gott, zu Jesus nur vordringen könne durch die Fürbitte dieser Heiligen.  

    Die Reformatoren lehnen – biblisch begründet – diese Vorstellung ab.  
    So ist es nachzulesen im Augsburger Bekenntnis.

    Schon Jesus weist die Bitte ab:  
    Zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben, steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.  
    Die Sitzordnung im Reich Gottes bestimmt ein anderer, sie wird auch erst noch erstellt. 

    V. Ein Witz

    Weil das so ist, gibt es so viele gute Witze, die sich am Eingangstor zum Himmel abspielen:  
    Ein Pfarrer und ein Busfahrer kommen nach ihrem Tod gleichzeitig an die Himmelspforte.
    Petrus öffnet ihnen, schaut sich die beiden genau an.
    Dann lässt er den Busfahrer eintreten, der Pfarrer muss draußen warten.  
    »Ich hör’ wohl nicht recht”,  
    beschwert sich der Pfarrer:  
    »Jetzt habe ich mein ganzes Leben in der Kirche verbracht und lange Predigten gehalten und komm noch nicht mal als Erster in den Himmel?«  
    »Tja, weißt du«, sagt Petrus: »bei deinen Gottesdiensten haben die Leute geschlafen, aber bei ihm im Bus haben alle gebetet!« 

    Die Kirchenmitgliedschaft allein ist kein Reservierungsticket für den besten Platz im Himmel. 
    Und ein kirchliches Amt ist sicherlich kein Freifahrschein in den Himmel.

    VI. Fazit

    Dreihundert Jahre nach der kindlichen Frage der beiden Jünger wurde das ganze römische Reich zum christlichen Abendland.  
    Aus den verfolgten Nachfolgern Jesu wurden Fürsten und Fürstbischöfe.  
    Aus Jüngern Jesu wurden Machthaber mit Unterdrückungsmethoden, und auch in der Kirche gab und gibt es bis heute Täter und Dulder von Missbrauch an Leib und Seele.

    Die Mahnung Jesu gilt bis heute.  

    Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.  

    Jesus holt die beiden Jünger von ihren Himmelsträumereien zurück in die Gegenwart.  
    Statt über Plätze im Himmelreich zu spekulieren, sollen sie sich einen Platz in der Welt, in der Nachfolge Jesu suchen. 

    Und das heißt:  
    Schluss mit den Rangeleien um die ersten Plätze.  
    Wer nach oben will, muss sich um die unten kümmern; 
    und wer oben ist, soll nicht nach unten treten:  
    Sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.  

    Amen.