Kategorie: Grötzingen

  • Gnade, die mich trägt – selbst mich!

    Gnade, die mich trägt – selbst mich!

    Predigt zu 1. Timotheus 1,12–17 für den 3. Sonntag nach Trinitatis in Grötzingen


    Liebe Schwestern und Brüder,
    es gibt Verse in der Bibel, die treffen uns ins Herz.
    Nicht weil sie schwer zu verstehen wären – sondern weil sie so ehrlich sind.
    So echt.
    So menschlich.

    Heute hören wir solche Verse.
    Paulus, der Apostel, blickt zurück auf sein Leben.
    Er bezieht sich auf die Begebenheit, die wir in der Schriftlesung gehört haben.

    Er schaut zurück mit einer Ehrlichkeit, die beschämt – und zugleich tröstet.
    Hören wir aus dem ersten Timotheusbrief Kapitel 1 nach der Neuen Genfer Übersetzung.

    Der Predigttext (1. Tim 1,12–17):

    Ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, dass er mir die Kraft gegeben hat für die Aufgabe, die er mir anvertraut hat.
    Denn er hat mich für vertrauenswürdig gehalten und mich in seinen Dienst genommen – mich, der ich früher ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter war.
    Aber Gott hat sich über mich erbarmt, weil ich in meinem Unglauben nicht wusste, was ich tat.

    Die Gnade unseres Herrn aber hat mich überflutet – zusammen mit dem Glauben und der Liebe, die ihre Grundlage in Jesus Christus haben.
    Ja, es ist ein wahres Wort und verdient unser volles Vertrauen:
    „Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten.“ – Und ich bin der Schlimmste von ihnen!
    Doch gerade deshalb hat sich Gott über mich erbarmt: Jesus Christus wollte an mir als Erstem zeigen, wie unendlich groß seine Geduld ist.

    Ich sollte ein Beispiel sein für alle, die später an ihn glauben und das ewige Leben erhalten werden.
    Dem ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und alleinigen Gott gebührt Ehre und Herrlichkeit für immer und ewig! Amen.

    I. „Ich war ein Verfolger“ – und nun: ein Zeuge der Gnade

    Was für ein Bekenntnis!
    Paulus sagt nicht:
    Ich war ein bisschen vom Weg abgekommen.

    Er sagt:
    Ich war ein Lästerer, ein Verfolger, ein Gewalttäter.
    Ich habe Gottes Gemeinde bekämpft.
    Ich war gegen Christus selbst.

    Und dann kam Gottes Gnade – wie ein Lichtstrahl ins Dunkel.

    Paulus wird nicht durch Leistung gerettet.
    Nicht, weil er es irgendwann eingesehen hätte.
    Sondern weil Gott sich über ihn erbarmt hat.

    Und Paulus bleibt dabei nicht stehen.
    Er macht seine Geschichte öffentlich – damit andere Hoffnung schöpfen können.
    Er sagt:
    „Guckt mich an. Wenn Gott mich rettet – dann ist niemand verloren.“

    II. Gnade in der Dichtung – Fausts letzter Augenblick

    Diese Erfahrung, dass Gnade auch den „Ersten der Sünder“ rettet, kennt nicht nur die Bibel.
    Als ich den Predigttext das erste mal las – da dachte ich – das kenn ich doch.
    Das erinnert mich doch an Goethes Faust.

    Als wir den Faust in der Schule lesen mussten,
    freiwillig hätte ich es sicherlich nicht getan,
    da war ich fasziniert.

    Da steh‘ ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor!
    Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr‘
    Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum –
    Und sehe, daß wir nichts wissen können!

    Das sprach mir als Schüler aus der Seele.

    Faust – dieser rastlose Gelehrte – will das Leben begreifen, das Wesen der Dinge durchdringen.
    Faust ist verzweifelt. 
    Da kommt der Teufel ins Spiel.
    Der Teufel bietet Faust an, dass er ihm alle Wünsche erfüllen würde.
    Der Teufel verspricht Faust Zufriedenheit und Seelenruhe.

    Natürlich ist nichts umsonst.
    Vor allem nicht bei einem Deal mit dem Teufel.
    Als Gegenleistung verlangt Mephistopheles von Faust, dass dieser ihm nach seinem Tod seine Seele überlässt. Das kennt man ja.
    Anstatt den Pakt einfach anzunehmen, schlägt Faust eine Wette vor. 
    Wenn es Mephistopheles gelingt, Faust zur Selbstzufriedenheit zu verführen, dann soll seine Seele dem Teufel gehören.

    »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!«

    Im weiteren Verlauf der Geschichte verführt Faust Gretchen.
    Das führt zu einer Reihe von Tragödien:
    Gretchens Mutter und Bruder sterben.
    Gretchen bringt ihr Kind zur Welt und tötet es, und sie wird dashalb zum Tode verurteilt.

    Somit hat Faust Tod und Schuld auf dem Gewissen.
    Faust ist ein Sünder. Und kein kleiner.
    Und doch – am Ende des zweiten Teils – wird Faust gerettet.
    Nicht, weil seine Taten gerecht waren.
    Nicht, weil er Buße getan hat.

    Sondern weil er immer gerungen hat.
    Weil sein Herz nicht völlig dem Bösen verfallen war.
    Engel holen ihn zu Gott.
    Und es heißt über ihn:

    „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“

    Das ist eine dichterische Version dessen, was Paulus in seinem Brief bekennt:

    „Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten – und ich bin der erste von ihnen.“

    III. Was macht Gnade aus?

    Was haben Faust und Paulus gemeinsam?

    Beide sind Zeichen der Hoffnung.
    Sie zeigen:
    Gnade ist kein Verdienst.
    Gnade ist immer möglich.
    Gnade ist gerettetes Leben.
    Gnade ist kein Schwamm drüber.
    Gnade nimmt die Schuld ernst.
    Aber sie lässt Menschen nicht in ihrer Schuld allein zurück.
    Gnade hebt die Menschen wieder auf.
    Gnade richtet die Menschen neu aus.
    Gnade gibt wieder Zukunft.

    IV. Und wir?

    Wenn wir diesen Text hören, dann geht es auch um uns.

    Vielleicht nicht mit den großen Abgrün den eines Paulus oder Faust.
    Aber wir alle kennen unsere dunklen Stellen im eigenen Leben.
    Worte, die wir nicht zurücknehmen können.
    Beziehungen, die zerbrochen sind.
    Verantwortung, der wir nicht gerecht wurden.
    Und in diesem Schmerz können wir mit Paulus hoffen:

    „Die Gnade unseres Herrn hat mich überflutet.“

    Dann ist die Gnade wie eine Welle – nicht sanft und still, sondern gewaltig und stark.
    Sie reißt mit – raus aus der Verzweiflung, hinein in ein neues Leben.

    V. Ein Beispiel – auch für andere

    Paulus sagt: Gott hat mich gerettet – um an mir ein Zeichen zu setzen.
    Ein Zeichen dafür, dass niemand zu tief fallen kann.
    Dass Gottes Geduld größer ist als jede Schuld.

    Das ist die Mitte des Evangeliums.
    Und es ist die Mitte unseres Glaubens.

    VI. Und darum: Lob

    Liebe Geschwister,
    wir leben von der Gnade.
    Nicht irgendwann, sondern heute.
    Nicht theoretisch, sondern ganz real.

    Wenn Faust gerettet wird –
    wenn Paulus zum Zeugen wird –
    dann gilt das auch uns:

    Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten –
    und wir sind eingeladen, genau diese Rettung zu empfangen.

    So wie der Predigttext endet – so möchte auch ich enden:

    „Dem ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und alleinigen Gott gebührt Ehre und Herrlichkeit für immer und ewig!
    Amen.“

    Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt EG 611, 1-3

    Gnade ist kein Schwamm drüber.
    Gnade nimmt die Schuld ernst.
    Aber sie lässt Menschen nicht in ihrer Schuld allein zurück.
    Gnade hebt die Menschen wieder auf.
    Gnade richtet die Menschen neu aus.
    Gnade gibt wieder Zukunft.

    IV. Und wir?

    Wenn wir diesen Text hören, dann geht es auch um uns.

    Vielleicht nicht mit den großen Abgründen eines Paulus oder Faust.
    Aber wir alle kennen unsere dunklen Stellen im eigenen Leben.
    Worte, die wir nicht zurücknehmen können.
    Beziehungen, die zerbrochen sind.
    Verantwortung, der wir nicht gerecht wurden.
    Und in diesem Schmerz können wir mit Paulus hoffen:

    „Die Gnade unseres Herrn hat mich überflutet.“

    Dann ist die Gnade wie eine Welle – nicht sanft und still, sondern gewaltig und stark.
    Sie reißt mit – raus aus der Verzweiflung, hinein in ein neues Leben.

    V. Ein Beispiel – auch für andere

    Paulus sagt: Gott hat mich gerettet – um an mir ein Zeichen zu setzen.
    Ein Zeichen dafür, dass niemand zu tief fallen kann.
    Dass Gottes Geduld größer ist als jede Schuld.

    Das ist die Mitte des Evangeliums.
    Und es ist die Mitte unseres Glaubens.

    Gottes Geduld größer ist als jede Schuld.
    Das tröstet und macht frei.

    Freiheit für einen Neuanfang.
    Freiheit zur Vergebung unseren Schuldigern.
    Freiheit zum Scheitern.

    VI. Und darum: Lob

    Liebe Geschwister,
    wir leben von der Gnade.
    Nicht irgendwann, sondern heute.
    Nicht theoretisch, sondern ganz real.

    Wenn Faust gerettet wird –
    wenn Paulus zum Zeugen wird –
    dann gilt das auch uns:

    Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten –
    und wir sind eingeladen, genau diese Rettung zu empfangen.

    Denn die Liebe Gottes, die höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Chritus Jesus bewahren.

    Und so wie der Predigttext endet – so möchte auch ich enden:

    „Dem ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und alleinigen Gott gebührt Ehre und Herrlichkeit für immer und ewig!
    Amen.“