Kategorie: Dörnach

  • Das rote Seil

    Das rote Seil

    Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis in Dörnach und Pliezhausen über Josua 2,1-24

    Liebe Schwestern, liebe Brüder

    Können Sie sich noch an unseren Wochenspruch erinnern?

    „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“
    (1. Johannes 5,4)

    Was bedeutet das?
    Wie wirkt sich das aus?
    Wie klingt das in den Geschichten von damals …
    und in unserem Leben heute?

    Jesus erzählt von Rahab

    (Diese Erzählung über Jesus ist rein fiktiv)

    Stellen Sie sich vor:
    Es ist heiß in Galiläa.
    Die Sonne brennt.
    Staub wirbelt auf.
    Kinder rennen durch die Gassen.

    Jesus sitzt unter einem Feigenbaum.
    Seine Jünger um ihn herum.
    Frauen bringen Wasserkrüge.
    Ein alter Mann lehnt sich auf seinen Stab.
    Kinder drängen nach vorn.
    Alle warten, dass Jesus erzählt.

    Denn wenn er redet, dann …
    dann öffnet sich ein Fenster in eine größere Welt

    Da meldet sich eine Frau.
    Fremd, das merkt man sofort.
    Sie spricht:

    „Meister, ich habe von Rahab gehört.
    Sie habe Kundschafter versteckt und sei verschont worden.
    Ist das wahr?
    Und was hat das mit uns zu tun?“

    Die Jünger schauen sich an.
    Eine Fremde.
    Und noch dazu über eine Frau, die man verachtet?
    Jesus lächelt.

    „Ja“, sagt er leise.
    „Es stimmt.
    Rahab lebte in Jericho.
    Eine Stadt voller Angst.
    Sie nahm die Kundschafter auf.
    Versteckte sie auf dem Dach. Unter Flachsstängeln

    Sie log – ja.
    Sie handelte klug, aber riskant.
    Und sie bekannte:
    ‚Euer Gott ist der Gott im Himmel oben und auf Erden unten.‘

    Stellt euch das vor:
    Eine Fremde spricht diese Worte.
    Zwischen Stadt, Volk, Familie – alles auf dem Spiel.
    Und doch vertraut sie.
    Gott rettet sie.

    Die Menschen sehen sie vor sich.
    Am Fenster.
    Das rote Seil in der Hand.
    Zeichen der Rettung.

    Jesus schaut in die Runde.
    „Rahab war keine makellose Heldin.
    Sie log.
    Sie stellte ihr eigenes Leben über die Stadt.
    Doch gerade darin leuchtete ihr Glaube auf.

    Sagt mir:
    Ist Glaube weniger wert, weil er aus einem gebrochenen Leben kommt?
    Oder gerade deshalb so kostbar?“

    Ein Murmeln geht durch die Menge.
    „Aber sie war doch eine Hure …“

    Jesus nickt.
    „Ja.
    Aber Gott übersieht niemanden.
    Sie wird Teil des Volkes.
    Teil des Stammbaums Davids.
    Teil meiner eigenen Geschichte.“

    Stille breitet sich aus.

    Jesus hebt ein Stück Strick auf.
    „Seht ihr?
    So ein Seil hing damals aus Rahabs Fenster.
    Rot – Zeichen der Rettung.

    Inmitten von Angst, Schuld, Lüge, Verrat –
    da kann neues Leben wachsen.

    Dieses Zeichen gilt auch euch.
    Für eure Ängste.
    Für eure Schuld.
    Für eure Hoffnung.“

    Die Frau fragt:
    „Aber Meister, Rahab war doch keine Israelitin.
    Warum wurde sie gerettet?
    Gilt Gottes Rettung auch für Menschen wie mich?“

    Jesus sieht sie an:
    „Frau, dein Glaube ist groß.
    Rahab vertraute –
    und Gott enttäuschte ihr Vertrauen nicht.
    So ist es auch bei dir.
    Wer mit dem Herzen glaubt – wird gerecht.
    Wer mit dem Munde bekennt – wird selig.“

    Die Jünger hören zu.
    Sie ahnen:
    Diese Worte werden nachhallen – noch lange.

    „Seht ihr“, sagt Jesus,
    „Glaube überwindet Mauern.

    Mauern von Städten.
    Mauern von Herkunft.
    Mauern von Vorurteilen.

    Rahab glaubte – und sie siegte.
    Nicht mit Waffen.
    Nicht mit Macht.
    Sondern mit Vertrauen.“

    Die Jünger beginnen zu verstehen:
    Bei Gott gelten andere Maßstäbe.
    Glaube öffnet, wo die Welt verschließt.

    Die Kanaanäerin

    Später begegnete Jesus einer anderen Frau.
    Auch sie am Rand.
    Auch sie bittet – zuerst abgewiesen.
    Aber sie lässt nicht los:
    „Herr, hilf mir!“

    Jesus:
    „Frau, dein Glaube ist groß.“

    Zwei Frauen.
    Fremd. Verachtet.
    Beide fest im Vertrauen.

    Rahabs rotes Seil.
    Die Brosamen unter dem Tisch.
    Kleine Zeichen.
    Große Rettung.

    Der Glaube, der die Welt überwindet

    „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

    Nicht durch Macht.
    Nicht durch Triumph.

    Sondern Sieg über Angst.
    Sieg über Vorurteil.
    Sieg über Selbstbehauptung.

    • Die Welt sagt: „Fremde sind Bedrohung.“
      Der Glaube sagt: „Im Fremden begegnet mir Gott.“
    • Die Welt sagt: „Dein Ruf ist verdorben.“
      Der Glaube sagt: „Gott sieht dein Herz.“
    • Die Welt sagt: „Es gibt kein Entrinnen.“
      Der Glaube sagt: „Bei Gott ist Rettung.“

    Rahab.
    Die Kanaanäerin.
    Beide zeigen:
    Glaube sprengt Grenzen –
    nicht mit Gewalt –
    sondern mit Vertrauen.

    Grenzen heute

    Unsere Welt ist voll von Mauern.
    Zwischen Nationen.
    Zwischen Arm und Reich.
    Zwischen Männern und Frauen.
    Zwischen Kirchen und Religionen.
    Und auch in uns selbst: Schuld, Angst, Zweifel.

    Doch der Glaube überwindet.
    Nicht, indem er Mauern niederreißt.
    Sondern indem er Herzen öffnet.
    Nicht, indem er Gegner besiegt.
    Sondern indem er Hoffnung schenkt.


    Das rote Seil Rahabs hängt auch heute noch:
    In Flüchtlingslagern.
    In Krankenhäusern.
    In Wohnungen.

    Wo Menschen beten: „Herr, hilf mir.“
    Und Gott hört.

    Der rote Faden

    Durch alle Geschichten zieht sich ein rotes Seil:

    • Für Rahab – Zeichen der Rettung.
    • Für uns – Bild des Glaubens.
    • Für Christus – Zeichen des Kreuzes.

    Nicht wir halten uns selbst.
    Gott hält uns fest.

    „Wer mit dem Herzen glaubt – wird gerecht.
    Wer mit dem Munde bekennt – wird selig.“

    Glauben heißt: Vertrauen wagen.
    Bekennen heißt: Hoffnung nicht verschweigen.

    Wenn ihr Grenzen erlebt – in euch oder zwischen Menschen –
    dann denkt:
    Unser Glaube ist der Sieg.
    Er überwindet die Welt.

    Der Friede Gottes,
    der höher ist als all unsere Vernunft,
    bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

    Amen.

  • Was die Seele satt macht

    Was die Seele satt macht

    Predigt zu Johannes 6,47–51 am Sonntag 30.März 2025 – Sonntag Lätare

    1. Kalorien gegen Kummer – wenn Trost schwer zu finden ist

    Essen ist tröstlich. Schon in der Kindheit hilft nichts so schnell über eine Schramme hinweg wie ein Eis.
    Später lindert Seelen-Futter Liebeskummer, Stress im oder Ärger in der Familie.
    Kalorien gegen Kummer.

    Auch Claudia, ich nenne sie einfach mal so, ist davon betroffen.
    Den ganzen Tag über hat sich bei ihr Unzufriedenheit aufgestaut.
    Der Wecker klingelt viel zu früh.
    Stress pur im Job: Der Chef mäkelte an ihren Bilanzen herum. Kunden waren ungeduldig.
    Der Heimweg war auch nicht besser: Stau auf der Strasse, Gehupe von Ungeduldigen.
    Endlich Zuhause: Sofa, Fernbedienung, Schokolade.
    Heute muss es eine XXL-Packung sein.
    Aus manchmal wird eine Gewohnheit.

    Doch die Süßigkeiten helfen nur kurz.
    Danach ist die Leere wieder da – und zusätzlich das schlechte Gewissen.
    Der Arzt hat auch schon vor Diabetes gewarnt.
    Aber Claudia fehlt die Kraft etwas zu ändern.

    Claudia – das ist nur ein Name.
    Es könnte auch Marie sein. Oder Sven. Oder Thomas.
    Denn dieses Frust essen kennen viele von uns.

    In der Kindheit haben wir gelernt: Essen tröstet.
    Darum greifen wir Erwachsene auch zum Keks, zum Eis, zur Pizza, wenn das Herz leer ist.
    Die Ernährungswissenschaftlerin Martina Tischler bringt es auf den Punkt:
    „Essen wird so zu einem Vertrauten, einem Freund.
    Es unterhält uns, wenn uns langweilig ist.
    Es bringt uns Freude, wenn wir traurig sind.
    Es nimmt uns den Stress – aber immer nur für kurze Zeit.“

    2. Der Hunger der Seele

    Doch was ist das für ein Hunger, der bleibt, auch wenn der Magen längst voll ist?

    Es ist der Hunger der Seele.
    Die Sehnsucht nach Anerkennung.
    Nach Liebe. Nach Trost.
    Nach Geborgenheit.

    Wir versuchen diesen Hunger zu stillen –
    mit Arbeit, Besitz, Zerstreuung und Essen.
    Aber satt werden wir nicht davon.

    Und genau an dieser Stelle setzt das Evangelium des heutigen Sonntags an.
    Jesus sagt:

    „Ich bin das Brot des Lebens. […] Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,48–51)

    3. Jesus – das Brot des Lebens

    Jesus spricht zu Menschen, die selbst voller Sehnsucht waren.
    Damals wie heute.
    Sie kamen in Massen zu ihm.
    Sicherlich auch aus Neugierde.
    Aber auch weil sie spürten, da gibt es mehr als Worte.
    Bei ihm gibt es Leben.
    Er heilte,
    er half,
    er hörte zu.
    Und er sprach mit einer Autorität, die nicht überforderte, sondern ermutigte.

    Seine Worte sind Balsam für erschöpfte Seelen.
    Seine Nähe ist Nahrung für das Herz
    Seine Botschaft ist die Hoffnung für alle, die sich leer fühlen.

    „Ich bin das Brot des Lebens“ das ist mehr als ein schöner Vergleich.
    Das ist eine Verheißung.

    4. Keine Sättigung durch Konsum

    Unsere Zeit bietet unzählige Glücksversprechen.
    Werbung, Lifestyle,Social Media
    – überall heißt es:
    „Kauf mich, dann wirst du glücklich“
    Oder
    „Verdiene mehr, dann bist du wer!“
    Oder
    „Iss das, dann fühlst du dich besser.“
    Doch das dickste Konto macht die Seele nicht satt.

    In diesem Zusammenhang aber eher zum Schmunzeln:
    Der Künstler Georg Joachim Schmitt hat den Nährwert von Geld einmal im Labor testen lassen.
    Ergebnis: Fast nichts.
    100 g D-Mark – so sagte er damals – seien eine Null-Diät.
    Ich denke beim Euro ist es auch nicht besser.

    Das ist natürlich absurd – aber im Kern wahr:
    Geld, Besitz, Status – sättigt nicht.
    Es gleicht Meerwasser:
    Je mehr davon getrunken wird, desto größer wird der Durst.

    5. Nahrung, die bleibt -und trägt

    Jesus bietet etwas anderes an.
    Keine Vertröstung.
    Kein Zucker-Schub für den Moment.
    Sondern Brot, das trägt.
    Er gibt sich selbst: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt“.

    Im Abendmahl wird das konkret.
    Wir empfangen ihn – in Brot und Wein.
    Und in dieser Hingabe liegt die Kraft, die meine Seele satt macht.
    Ich bin angekommen.
    Geliebt.
    Nicht wegen meiner Leistung, sondern aus Gnade.

    Das befreit.
    Das nimmt den Druck.
    Das schenkt Frieden – tief innen.

    6. Gesättigt – um zu geben

    Wer so gesättigt ist, wird selbst zur Quelle für andere.

    So wie Kelvin, ein neunjähriger Junge aus Louisiana.
    Er sieht einen verwahrlost wirkenden Mann vor einem Café.
    Er Hat Mitleid und schenkt ihm einen Dollar.

    Was er nicht weiß:
    Der Mann ist ein reicher Unternehmer, der nur zufällig wie ein Obdachloser aussieht.
    Matt, der Inhaber eines Sportgeschäfts, floh an diesem Morgen aufgrund eines Feueralarms aus seinem Wohnkomplex und trug daher ungepflegte Kleidung.
    Matt ist von der Geste so gerührt, dass er Kelvin belohnen wollte.
    Kelvin durfte in seinem Sportgeschäft innerhalb einer Minute alles auswählen, was er haben wollte.
    Am Ende sagt der Geschäftsmann: „Kelvin hat mir den Glauben an die Menschheit zurückgegeben.“
    Und Kelvin?
    Der sagt: „Ich habe mich doppelt gefreut – dass ich helfen konnte und über das Geschenk.“ Quelle

    7. Die Seele wird satt – durch Liebe

    Aber was bedeutet das für Claudia?
    Wie kann sie diese Erkenntnis in ihr Leben integrieren?

    Sie könnte beginnen, ihren Frust vor Gott zu bringen, anstatt ihn in Schokolade zu ertränken.
    Vielleicht mit einem einfachen Satz wie:
    „Herr, du siehst meine Erschöpfung.

    Fülle du mich mit neuer Kraft.“
    Denn Jesus ist kein Ernährungsberater, er wird ihr keine bessere Ernährung empfehlen – er möchte ihre Seele sättigen.

    Aber wie macht er dass?
    Jesus sättigt die Seele durch seine Nähe.
    Er ist nicht fern, nicht unerreichbar.
    Er ist da!
    Er ist da, in jedem Moment, in jedem Atemzug.
    Er sieht Claudia, wenn sie müde, ausgelaugt von der Arbeit nach Hause kommt.
    Er hört ihre unausgesprochenen Sorgen.
    Er kennt ihren Hunger nach Anerkennung.
    Und er sagt: „Ich lasse dich nicht allein. Ich trage dich.“

    Jesus sättigt die Seele durch seine Liebe.
    Da gibt es kein: „Mach mehr! Sei besser! Streng dich an“
    Sondern es gibt Liebe, die einfach da ist.
    Liebe, die sagt: „Du bist genug. Du bist wertvoll. Ich bin für dich da“

    Vielleicht entdeckt dann Claudia, dass ihre Seele durch Geben selbst erfüllt wird.
    Dass Helfen und Teilen selbst Freude schenken.
    Sie könnte sich engagieren,
    anderen eine Freude machen,
    ein kleines Licht für jemanden sein.
    So wie der Junge aus Louisiana,
    der mit einem Dollar das Herz eines reichen Mannes bewegte.
    Denn Freude und Liebe sind das eigentliche Brot, das satt macht.

    Und schließlich darf sie lernen, Gnade zuzulassen.
    Auch sich selbst gegenüber.
    Sie muss nicht perfekt sein,
    nicht immer stark,
    nicht immer diszipliniert.

    Jesus sagt nicht: „Streng dich mehr an!“
    Jesus sagt: „Komm zu mir! Ich bin das Brot des Lebens.“

    Wenn Claudia nach und nach lernt, auf Gottes Fürsorge zu vertrauen, dann wird sie erleben:
    Ihr Hunger nach Trost wird nicht mit Zucker gestillt,
    sondern mit echter Liebe.
    Ihr Verlangen nach Anerkennung muss nicht mit Kalorien erkauft werden.
    Sondern sie darf sich sicher sein:
    Ich bin, wie ich bin.
    Ich bin von Gott gewollt, geliebt und angenommen.

    Und das macht wirklich satt!
    Amen


    Gehalten in Dörnach am 30.03.2025