Als die Zeit erfüllt war
Predigt zu Galater 4, 4-7 in der Nürtinger Versöhnungskirche am 23.12.2023
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott. (Galater 4,4-7 nach der Übersetzung nach Martin Luther 2017)
Weihnachten ist ein spannendes Fest.
Spannend sind die verpackten Geschenke, die Heimlichkeiten und Überraschungen.
Spannend auch im Sinn von Anspannung,
ja Stress,
sind die Erwartungen, die dem zugrunde liegen:
Das Fest der Familie,
das Fest des Schenkens,
das Fest des Friedens.
Wenn die Erwartungen hoch sind, dann sind leider auch die Enttäuschungen oftmals groß.
Gerade bei diesem Fest merken wir, dass die Latte hoch liegt.
Oftmals zu hoch und dann können wir sie nicht überspringen reißen sie.
Im Vergleich mit unserer Weihnachtsstimmung erscheint der Text des Apostels Paulus absolut cool und sachlich. „Als die Zeit erfüllt war…“
Doch damit beschreibt er eine noch viel größere Spannung;
Die Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit,
zwischen Himmel und Erde,
zwischen Gott und Mensch.
Wir siedeln Gott ja gerne im Himmel an, in der Ewigkeit, im Jenseits.
Da kann man es sich dann aussuchen, ob man zu den Themen und Problemen dieses Lebens und dieser Zeit auch noch an die Ewigkeit glauben und einen Gott haben will.
Diese Weihnachtsbotschaft zeigt aber, dass es umgekehrt ist.
Gott bestimmt unsere Zeit, unsere Geschichte liegt in seiner Hand.
Die Weihnachtserzählung ist eine Rettungsgeschichte.
„Als die Zeit erfüllt war…“,.
Gott hat sich in unsere Welt begeben.
Mit Haut und Haar.
Er kommt zu uns, dorthin, wo wir sind.
Er wird Mensch, ein Kind.
Machtlos, angewiesen, hilfsbedürftig.
Wir haben uns daran gewöhnt und zählen ganz selbstverständlich die Jahre „vor Christus“ und „nach Christus“.
Tatsächlich ist es ein unglaubliches Wunder.
Gott nimmt sich Zeit.
Er tritt in die Geschichte ein.
Dadurch wird die Zeit kostbar.
Dadurch wird die Geschichte einmalig.
Dadurch erhält jeder Mensch seine Würde.
Wie wichtig dem Paulus die Menschwerdung Gottes ist zeigen die Worte:
„Von einer Frau geboren und unter das Gesetz getan“.
Mit dieser Aussage können wir verbinden:
Mit der Geburt beginn unsere unsere Endlichkeit.
Mit der Geburt beginnt die Unterwerfung unter das Gesetz.
Schuld und Leid.
Der Kampf zwischen Herrschern und Beherrschten.
Das Zerschellen der Visionen an der Wirklichkeit.
Oder wir hören diese Worte als großes Geschenk.
Mit der Geburt beginnt ein neues Leben.
Ein Mensch tritt ins Dasein, dessen Wesen und Bedeutung noch niemand kennt.
Mit der Geburt erklingt der Ruf der Freiheit,
die Ermutigung zur Menschlichkeit,
die Möglichkeit, den anderen zu lieben.
Paulus zeigt diese Spannung in der Gegenüberstellung von Söhnen, Töchtern und Knechten.
Der Knecht ist der ins Dasein geworfene Mensch.
Er ist seinen Fähigkeiten und seinen Unfähigkeiten ausgeliefert.
Er ist das Produkt seiner Anlagen und seiner Umwelt.
Söhne und Töchter sind Gottes Ebenbild.
Sie sind zum aufrechten Gang aufgerufen.
Sie sind zur Versöhnung befähigt und zur Fantasie für Frieden.
Sie sind mutig genug, um für Gerechtigkeit einzutreten.
Sie sind die Verwalter des Anvertrauten, der Geheimnisse des Lebens und der Schönheiten dieser Erde.
Sie sind die Erben der Freiheit.
Erfüllte Zeit definieren wir heute als Zeit die uns nach vorne bringen.
Die wir mit Familie, Freunden oder erfüllter Arbeit verbringen dürfen.
Paulus würde „Erfüllte Zeit“ wahrscheinlich anders verstehen.
Für ihn ist die erfüllte Zeit das „Ende des Gesetzes“.
Das Ende der Knechtschaft unter den Schlägen eines blinden Schicksals.
Das Ende der Kette von Lieblosigkeit und Gewalt.
„Erfüllte Zeit“ ist der Platz bei dem Kind in der Krippe.
„Erfüllte Zeit“ ist Anteil an seinem Mut, ein Weltbewohner zu werden.
Erfüllte Zeit ist die Zeit des Rufens der Söhne und Töchter dieser Erde nach Abba, dem Vater im Himmel.
Und es ist die Zuversicht, dass Gott auch mich erfüllen kann mit Liebe und mit seinem Geist.
Amen.
- Es brennt!
- Alles hat seine Zeit