Langenecks Welt

Wir, die vergebenen Sünder

Predigt zu Jesaja 6, 1-8 am 04.06.2023 in der Dettenhäuser Johanneskirche

Anstatt den Predigttext für das Trinitatisfest 2023 vorzulesen, werde ich ihn nacherzählen: Jesaja 6, die Berufung des Propheten.

„Weinberg des Herrn “ wird Israel, das Volk Gottes, genannt.
Aber es steht schlecht um diesen Weinberg.
Der Assyrische König liegt auf der Lauer. Er möchte ins Land einzufallen und alle Reben abzureißen. Israels König liegt im Sterben: Usija ist vom Aussatz befallen. Nach langer Regierung ebenso unrein wie sein Volk.

Das Volk aber wiegt sich in Sicherheit: „Wir haben ja schließlich den Tempel. In dem wohnt doch Gott – oder?“

Wie selbstverständlich wird Gott ins eigene Leben verrechnet: als großer Rückversicherer für jedes Risiko.
Er bringt alles wieder ins Reine. Dadurch kann alles so weitergehen wie bisher.
Auch die schmutzigen Geschäfte.
Ein „liebes Gottchen“ für „fromme“ Leute, die im Grunde nur ihre Ruhe haben wollen.
Den Tempel, in dem sie diesen kleinen Gott eingefangen zu haben glauben, rennen sie die Türen ein.
Doch in Stadt und Land tobt das Unrecht.
Und die Feinde rückt auf die Grenzen zu.

Da wird im Jahr 735 vor Christus Jesaja, ganz allein im Tempel, in einer Vision zum Propheten berufen:
„1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel.“
Ein König steht an der Grenze, ein König stirbt – doch hoch darüber thront noch ein König, der Heilige Israels.
Für den ist der Tempel viel zu klein.
Das Gotteshaus kann lediglich den Saum seines Gewandes fassen.

Ist er denn kein lieber, kein naher Gott, kein Gott zum Anfassen?

Dieser Herr bleibt verborgen. Auch die feurigen Engelsgestalten rund um seinen Thron können seine Herrlichkeit nicht aushalten. Nur zwei ihrer sechs Flügel haben sie zum Fliegen, mit zweien bedecken sie ihr Gesicht, mit zweien verhüllen sie ihre Scham.
Engelsgestalten?
Die Serafim könnten, von Namen und Gestalt her, auch Schlangen sein oder Blitze.

Der Heilige Israels auf einem Thron, feurige Wesen drumherum:
Ist das ein Bild, mit dem Gott sich darstellt?
Ein Bild, in dem die Hierarchie der Macht sich abbildet:
Ganz oben der „Herr der Himmel“ auf dem höchsten Thron und dann die Mächtigen der Erde, Könige oder Kanzler, Präsidenten oder Vorsitzende, auf den etwas niedrigeren Chefsesseln?

Jahrtausendelang wurde es in der christlichen Tradition so dargestellt.
Doch dieses Bild ist falsch, grundfalsch.
Gott gibt hier kein Bild von sich selbst.
Jesaja malt dieses Bild.
Als Mensch, der er nun einmal ist, kann er das, was er erlebt nur so beschreiben.
Das was ihm widerfährt, was ihn verängstigt und verzückt, anzieht und abstößt, erschüttert und begeistert, was ihn unbedingt trifft und betrifft.

Jesaja wird ergriffen vom Ungreifbaren schlechthin.
Das ist mehr als Staunen über Sonnenlicht und Sternenhimmel, mehr als Freude über strahlende Kinderaugen.
Es ist ein Wundern, das über alle Wunder geht.
Etwas Unvergleichliches, in dem sich das Sein selbst zu erkennen gibt.
Im Grunde kann sich niemand von diesem Bild ein Bild machen.
Wer solch ein Bild in seiner Bibel hat, sollte es herausreißen.
Angesichts dessen, was Jesaja da zuteil wird, ist jedes Heiligenbild, jede Heiligenverehrung bloß lächerlich.
Da bleibt jede religiöse „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ ein dumpfes Gefühl.
Da ist jede philosophische Idee – auch jede Metaphysische – ein blasser Gedanke.
Unendliches gibt sich kund über alles Endliche hinaus und in alles Endliche hinein.
Unvergleichlich!

Jesaja nimmt Überwältigendes wahr:
das Unfaßbare und Unverfügbare überhaupt,
das ganz und gar Erhabene,
die Heiligkeit Gottes.
Die Engelsgestalten – ein Bild, ein Bild! – rufen es: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“

Ja, heilig ist er, dreimal heilig:

„kadosch, kadosch, kadosch… „Schwere“ heißt das auch und „Glanz“
Im Himmel, auf der Erde, jetzt und ewig.
Ein Ort, der kein Sterblicher betreten kann.
Eine andere Dimension – über Raum und Zeit hinaus.
Das Licht selbst.
Und doch kann man diese Dimension wahrnehmen auf der Erde, sie ist in der Tiefe von allem.
Das Unnennbare hat einen Namen.
Der wird, erhaben wie er ist, noch einmal umschrieben: der ‚Heilige Israels‘.
Ihm allein gilt das dreimal „Heilig“ so einzigartig und mächtig, dass „4  die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.“

Die Bibel erzählt gerne vom Rauch.
Rauchschwaden offenbaren den Sterblichen, dass der Ewige erschienen ist, zugleich entziehen sie seine Erscheinung ihrem Blick.

Was kann Jesaja nun noch sagen?
Da sprach ich: „Weh mir , ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“
Angesichts des Unvergleichlichen, spürt Jesaja seine Erdenschwere erst recht.
Die Unreinheit seiner Lippen, sein Eingebunden sein, seine Gleichheit mit seinem Volk.
Wer dem Heiligen begegnet, wird nicht ausgesondert, sondern hineingestellt in die Menschheit.
Ja, an ihm vollzieht sich stellvertretend, was auch sie nötig hat:
„6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, 7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“

Eine der Engelsgestalten nimmt eine glühende Kohle vom Altar, berührt damit Jesajas Mund und brennt alles Unreine, Unheilige weg.
Zur Welt Gottes gehört eben auch das Feuer.
Feuer vernichtet und läutert zugleich.
Ein einziger göttlicher Funke hat den sterblichen Jesaja berührt – und er ist gereinigt, frei gemacht. Nun kann Gott durch ihn sprechen .
Wo alle anderen Propheten Widerspruch anmelden, sie seien zu jung, zu unerfahren, zu wenig beredt – durchs göttliche Feuer befreit, ist Jesaja bereit, Gottes Bote zu sein: Und ich hörte die Stimme des Herrn , wie er sprach: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Ich aber sprach: „Hier bin ich, sende mich!“

Wie anders ist doch da die Berufung des Simon Petrus (Lukas 5,1-11).

Das Schöne an dieser Erzählung ist, dass wir uns so gesehen keinen Millimeter bewegt haben.
Wir sind wie Petrus noch immer die Kirche der Torheit, eine Versammlung von Verleugner und Zweifler.

Und dennoch sind wir die, die Gott ruft und in seiner Gnade als seine Gemeinde segnet.
Ein Geschenk aus Liebe, jetzt und immerdar.

Jesus brauchte keine Gebäude oder Rituale. Er benötigt keine Kohlen. Bei Jesus reicht ein „Fürchte dich nicht!“
Evangelisches Christentum feiert nicht die verborgene Wahrheit, sondern verkündet den offenbarten Christus.
Das ist etwas ganz anderes.
Wir feiern nicht das Unsichtbare, das Mystische und all das, was nicht wirklich ist.
Wir feiern die Bedeutung des Ereignisses, von dem wir hören: Dass das Leben Christi, sein Tod und seine Auferstehung auch uns gelten. Das ist die Botschaft, in der wir das Leben feiern, das wir haben, weil das Göttliche sich eben hier in unserem eigenen Leben zeigt.

Als ein Menschenkind, als ein ermunternder Blick von einem Fremden auf der Straße, als ein Gruß per whatsapp, als Wort und Musik, die uns erheben und dem Alltag Bedeutung verleihen. So dass wir jeder für sich den Ruf hören: „Komm, folge mir“!

Wir können den Glauben nicht immer spüren, aber wenn wir in die Kirche zum Gottesdienst kommen, dann deshalb, weil wir den Ruf hören und ihn uns anrühren lassen sollen:

Komm, folge mir. Ich tröste den Traurigen, ermuntere den Kranken und vergebe jedem, der glaubt.

Komm, folge mir!

Amen

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