Langenecks Welt

Wo finde ich Gottes Gnade – Predigt zu 2. Korinther 6, 1-10

Wo ist Gottes Gnade?
Wo kann ich sie entdecken?

Ich höre die Bundestagsdebatte und Worte wie:
Zeitwende, Paradigmenwechsel, Aufstockung des Verteidigungshaushalts.
100 Milliarden werden eben mal zur Verfügung gestellt.
Für Waffen!
Um wehrhaft zu sein. Verteidigungsbereit. Gnade?

Ich höre aber auch nachdenkliche Worte.

Das unsere Hände nicht sauber bleiben können.
Dass wir nicht wissen, ob das, was jetzt richtig ist, auch morgen gut ist.
Ich höre, wie die Abgeordneten miteinander ringen, miteinander suchen.
Ja, die Tage davor haben auch an ihnen gezerrt.
Ich sehe sie als Menschen, die wissen, wie groß ihre Verantwortung ist. Und ich bitte für sie um Gottes Gnade.

Wo ist Gottes Gnade?
Wo kann ich sie entdecken?

Ich sehe diesen gnadenlosen Machthaber im Kreml.
Ich höre seine Lügen, seine Sätze voller Demagogie.
Das Netz flutet mich mit Bildern, wie er mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitet.
Wie er am übergroßen Tisch sitzt – allein.
Am anderen Ende irgendwelche Berater, wenn sie denn Berater sind. Gnade?

Und ich denke:
Wie einsam musst du, Vladimir, sein?
Was hat deine Seele so vergiftet?
Warum hast du nur Berater und dich herum, die dir immer zustimmen?
Sie wollen weder dein Bestes noch das Beste des Landes.
Und du offenbar auch nicht.

Wie können wir dich bewegen, dein Herz zu spüren?
Dein Mitgefühl nicht wegzudrücken? Und auch, wenn ich dich in die Hölle wünsche, bitte ich für dich um Gnade, Vladimir Putin.

Und was sagt Paulus im 2. Brief an die Korinther 6, 1-10

Nehmt die Gnade Gottes an, dass sie nicht ohne Wirkung bleiben soll, sagst du, Paulus.

Es ist, als ob du mir einen riesigen Container hinstellst.
Ein Container mit lauter Müll drin und ganz unten oder irgendwo dazwischen ist die Gnade versteckt.

Kram sie hervor, sagst du.
Sie ist da, sagst du.
Sie ist auf jeden Fall da, die Gnade. „Siehst du sie etwa nicht?“, fragst du.

Nein, sie ist untergegangen im Feuer im Atomkraftwerk.
Sie ist verschwunden durch die Schüsse auf die Hochhäuser von Kiew. Sie ist versteckt im Wimmern der Alten, die sich in den U-Bahn-Schächten verstecken müssen und nicht wissen, ob sie in ihre Wohnungen zurückkönnen.

Mit den Waffen der Gerechtigkeit kommen wir nicht mehr weiter.
„Keine Gewalt, nur das Wort!“, hat einst Luther gesagt.
Aber das zählt gerade nicht.

Ja, jetzt ist von einer Zeitwende die Rede.
Es ist die Zeit der Eskalation, der militärischen Stärke. Es ist nicht die Zeitwende, die der Gnade Raum gibt.

Trotzdem ist die Gnade da

Und doch ist die Gnade da, sagst du, Paulus
Die Gnade.
Die Menschenfreundlichkeit Gottes.
Seine Liebe.
Seine bedingungslose Liebe zu allem, das lebt und atmet und liebt, lacht und weint.
Vielleicht ist sie verschüttet, aber sie ist da. Suche nach ihr, sagst du.

Und ich denke an den Propheten, der sich Jesaja nennt.
Er lebt im Exil, weit weg von seinem Zuhause.
Seinen Leuten geht es dreckig.
Er selbst wird verhöhnt.

Trotzdem hört er Hoffnungsworte von seinem Gott und die gibt er weiter: „
Sagt den Gefangenen:
Geht hinaus!
Sagt zu denen in der Finsternis: Kommt heraus!
Ihr Erbarmer wird sie führen und sie an die Wasserquellen leiten.
Ich will alle meine Berge zu ebenen Wegen machen und meine Pfade sollen gebahnt sein.“

Er sagt es, obwohl er weiß, dass das außer ihm niemand sonst sieht und hört.
Er klammert sich an Gott,
an Gottes Wort.
Er klammert sich an das, was Gott versprochen hat:

Ich bin für euch da. Gerade für euch- und gerade jetzt.

Es ist unser Auftrag, diese Gnade zu verkünden.

Entgegen allem Augenschein.
Entgegen allem Pessimismus.
Entgegen jedem Frust.

Wir Christen und Christinnen klammern uns an diesen Jesus, der in die Wüste ging und mit dem Teufel kämpfte.
Und als dieser ihm anbot ihm die total Macht zu geben, da lehnte er ab.
Weil er wusste:
Ich gehöre nach ganz unten.
Dort wo die Menschen sind.
Wo sie lachen und weinen, klagen und schreien.

Dort im U-Bahn-Tunnel in Kiew und in den Flüchtlingslagern Griechenlands.
Dort am polnischen Grenzzaun, wo nur weiße Flüchtlinge durchgelassen werden.
Dort gehöre ich nicht hin und nicht an den riesigen Tisch der Befehlshaber.

An diesen Jesus klammere ich mich.
An diesen Jesus, der mit Spucke und Lehm den Blinden beschmiert, damit dieser wieder sehen kann.
Der um seinen Freund Lazarus weint und sich im Jordan taufen lässt, wie alle anderen Sünder auch.

Ich klammere mich an diesen Jesus,
der in einer Krippe geboren wird von einer jungen Frau, die nichts zählt.
An diesen Jesus klammere ich mich, der seine Feinde liebt und mich auch und vermutlich sogar Putin.

Ich bin froh, dass er es tut, denn ich kann es gerade nicht:
Putin lieben und die Menschenverächter dieser Welt.

Aber ich kann auf ihn zeigen, auf diesen Jesus. Der kann das, was ich gerade nicht kann.
Und vielleicht genügt das.
Jedenfalls im Moment.

Ich suche nach der Gnade.
Und vielleicht finde ich sie gerade nur bei diesem Jesus, der alles Furchtbare aushält.
Der ans Kreuz geht.
Der die Armen und Traurigen seligpreist und mir ein Senfkorn hinhält.
Hier sagt er, ist das Reich Gottes.
Das ist die große Liebe Gottes. Sie macht sich klein und ist doch unendlich groß.

Ich suche nach der Gnade,
nach der unendlichen Liebe Gottes,
die sich so klein macht,
dass ich sie übersehen und überhören könnte.

Ich finde sie in den Worten von Annette Kurschus, der EKD-Ratsvorsitzenden, die sie in Berlin vor zigtausend Menschen gesprochen hat:

„Lasst uns präzise bleiben in unserem Denken und Reden.
In aller Empörung – wir bleiben dabei:
Wir verweigern uns der Verführung zum Hass.
Wir verweigern uns der Spirale der Gewalt.
Wir werden der kriegslüsternen Herrscherclique in Russland nicht das Geschenk machen, ihr Volk zu hassen.“

Und weiter: „Wo der Friede werden soll, da kommt es auf uns an.
Es kommt auf uns an, die Worte zu wägen, Unrecht beim Namen zu nennen und doch nicht zu hassen.
Es kommt auf uns an, den leidenden Menschen in der Ukraine, den verängstigten Menschen in unseren Nachbarländern unsere Solidarität zu zeigen.
Keine billige, sondern eine, die uns etwas kostet.
Es kommt auf uns an, den Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg stellen, unsere Achtung zu bezeugen.
Es kommt auf uns an, den Menschen, die flüchten, zu helfen, ihren Weg zu öffnen, damit sie ihr Leben retten können, und sie aufzunehmen.“

Gnadenworte.
Und ich suche weiter nach der Gnade.

Ich finde sie bei Anna und Ramon, die in Russland auf die Straße gehen und gegen Putin demonstrieren.
Ich finde sie bei Liane, die für 5 Frauen mit 13 Kinder aus der Ukraine Unterkünfte gefunden hat.
Ich finde die so große und so kleine Gnade bei Männern und Frauen in ukrainischen Dörfern, die sich mit bloßen Händen den russischen Panzern entgegenstellen und den Russischen Soldaten zu essen geben.
Ich finde die Gnade in den Friedenslichtern, die überall entzündet werden.

Ist das die Gnade, die du, Paulus meinst?

Ist das die Gnade, die ich annehmen soll, damit sie nicht ohne Wirkung bleibt?
Die Gnade in den Gegensätzen meines Lebens?

Paulus, du sagst:
„Wir sind von Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Wir werden ausgepeitscht und kommen doch nicht um.
Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich.
Wir sind arm und machen doch viele reich.
Wir haben nichts und besitzen doch alles!“

Und ich stimme ein: Ich bin erschöpft und trotzdem wach.
Ich habe Angst und klammere mich trotzdem an die kleinen Hoffnungszeichen.
Ich erlebe Krieg und glaube trotzdem an den Frieden.

Ich habe nichts vorzuweisen und habe doch alles –

Denn sie ist da, die Gnade, die unendliche Liebe Gottes.
Sie ist da und ich suche weiter nach ihr.
Gerade jetzt.
Zusammen mit Jesus.

Amen.

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