Langenecks Welt

„Fürchtet Euch nicht!?“ Predigt zu Matthäus 14, 22-33

Fürchtet Euch nicht!

Fürchte dich nicht!

In der Bibel kommen diese Worte, ich selbst habe es nicht gezählt, 124 mal vor.

Aber je öfter mir so etwas gesagt wird, je skeptischer werde ich.

„Fürchte dich nicht, du musst keine Angst haben – alles wird gut“.
Wenn ich das höre, denke ich: Das ist doch wie „Pfeifen im Wald“.

Wenn die Angst angesprochen wird, dann ist sie doch längst da.

Mir helfen jedenfalls keine Apelle gegen die Angst.

Ja, auch ich habe manchmal Angst.

Glauben Sie, dass, wer an Gott glaubt, keine Angst haben darf?

Müssen wir furchtlose Glaubenshelden sein?

In der Bibel finden wir oft Menschen, denen Ängste und Furcht nicht fremd sind.

„Deine Wellen überfluten mich“ (Ps 42,8), klagt einer im Gebet.
„Die Angst meines Herzens ist groß“ (Ps 25,17),
„des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not“ (Ps 116,3).

Wir müssen uns mit der Angst auseinandersetzen. Es führt kein Weg daran vorbei.
Angst gehört zum Leben.
Leben ohne Angst gibt es nicht.

Wir müssen immer wieder Wege aus der Angst finden. Doch wie könnte so ein Weg aussehen?

Nicht, wenn wir die Angst um jeden Preis unterdrücken, verbieten oder vermeiden wollen.
Auch können wir sicherlich nicht die Angst bekämpfen oder in einem heroischen Kraftakt überwinden.

Wenn wir in eine lebendbedrohliche Situation geraten oder uns auf einem gefährlichen Irrweg befinden, dann sagt uns die Angst: „Mach was! Hau ab oder kehre um, ändere dein Leben, sonst ist es vorbei!“
Das ist die wichtige Botschaft der Angst.
Bei Gefahr läuft bei Krokodilen, Igeln oder Pantoffeltierchen eine automatische Reaktion ab.
Dies sichert deren Überleben oder eben nicht.

Im Gegensatz dazu haben wir Menschen ein lernfähiges Gehirn. Es ist in der Lage Wege aus der Angst zu suchen und immer wieder auch zu finden.

Angst haben hat etwas mit Nachdenken zu tun. Nur wer Nachdenken kann, der kann Angst haben.
Wir Menschen sind Suchende.
Wir sind deshalb auch in der Lage Wege aus der Angst zu suchen und zu finden.

Ich finde, das ist eine tröstliche Botschaft mitten von allem war mir gerade Angst macht.
Angst vor der Zukunft.
Angst vor Krankheit,
Angst, wie es mit der Pandemie weitergeht.
Angst, vor Ansteckung und so weiter und so weiter ….

Wege aus der Angst zu finden, bedeutet ausprobieren.
Suchen, was möglich, sinnvoll, realistisch und mit dem eigenen Leben vereinbar ist.

Keiner von uns ist ein Superheld, der immer die richtige Lösung weiß.
Es braucht manchmal viele Gespräche und viel Vertrauen, damit Risiken und Möglichkeiten abgewogen werden können. Bis sich ein Weg öffnet, der einen nächsten Schritt erlaubt.

Es gibt eine biblische Geschichte, die einen Weg aus der Angst nacherzählt.

Jesus geht über das Wasser
22Sofort danach (Anmerkung: Nach der Speisung der 5000) drängte Jesus die Jünger in das Boot zu steigen. Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren. Er selbst wollte zuerst noch die Volksmenge verabschieden.23Als die Volksmenge weggegangen war, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Es war schon Abend geworden und Jesus war immer noch allein dort.24Das Boot war schon weit vom Land entfernt. Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen, denn der Wind blies direkt von vorn.25Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern. Er lief über den See.26Als die Jünger ihn über den See laufen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. Sie riefen: »Das ist ein Gespenst!« Vor Angst schrien sie laut auf.27Aber sofort sagte Jesus zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus findet Halt bei Jesus
28Petrus sagte zu Jesus: »Herr, wenn du es bist, befiehl mir über das Wasser zu dir zu kommen.«29Jesus sagte: »Komm!« Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus.30Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: »Herr, rette mich!«31Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest. Er sagte zu Petrus: »Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?«32Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich.33Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

Basisbibel Matthäus 14,22-33

Mitten in der Nacht – das ist ein ziemlich gutes Bild für die Angst.

Denn in der Nacht passieren Dinge, die wir nicht im Griff haben.
Geräusche, die nicht einzuordnen sind.
Träume, die uns aufschrecken.
In der Nacht verstärkt sich das Gefühl völlig alleine zu sein.
Weil die Augen die Dunkelheit nicht durchdringen können.
Weil sich alles, was wir bei Tageslicht unter Kontrolle haben, sich fremd und ungreifbar anfühlt.

Die Vorstellung, dass wir einer Bedrohung hilflos ausgeliefert sind, macht Angst.
Die Vorstellung, dass wir eine Bedrohung nicht rechtzeitig erkennen können, macht Angst.
Die Vorstellung, dass wir keine geeigneten Mittel zur Hand haben, um die Bedrohung abwenden zu können, macht Angst.
Die Vorstellung, niemanden zu finden, wenn ich alleine nicht mehr weiterweiß, macht Angst.

Allein schon diese Vorstellung löst in uns ein gewaltiges Durcheinander aus.
Erst, wenn wir wieder etwas finden, an dem wir uns ausrichten können, hört dieses Durcheinander auf.

Es geht darum, einen „inneren Kompass“ zu finden.
Gibt es etwas, was mir so wichtig ist, dass ich danach alles ausrichte?
Mein Tun und Lassen; auch im Traum?

Das muss ich für mich selbst herausfinden.
Wir wissen es alle – tief in unserem Inneren.
Wir müssen es nur finden.

Es ist eine Erfahrung, die viele Menschen machen:
Selbst, ohne genau zu wissen, was sie da eigentlich tun, richten sie sich danach aus.

Was passiert mit den Jüngern im Boot?
Wie ist das mit ihrem Kompass?
Was hilft, damit es einen Weg aus der Angst gibt?

Der Kompass, so viel ist klar, ist nicht einfach Jesus.

Du musst nur glauben, sagen manche – dann ist die Angst weg.

Aber das stimmt nicht!

Das haben schon so viele erlebt:
Mitten in der Nacht – da kann dieser Jesus aussehen wie ein Gespenst.
Kein Wunder, dass die Jünger vor Furcht aufschreien und sich – so stelle ich es mir vor – erstmal im Boot wegducken. Vielleicht geht der Spuk weg, wenn wir nicht hinschauen!

Das ist eine Möglichkeit. Augen zu und wegducken. Manchmal hilft es ja.
Manchmal kann es eine gute Strategie sein, nicht immer hinschauen oder alles hautnah an sich herankommen zu lassen. Manchmal sagt mir mein innerer Kompass: Du musst nicht stark sein.

Andere haben andere Strategien. Petrus zum Beispiel redet den, der da so geisterhaft daherkommt, an. Vielleicht erinnert er sich an die Sache mit der Nachfolge. Schließlich hat es schon ein paarmal geklappt, wenn Jesus Menschen gerufen hat. Die sind dann mitgegangen, obwohl das nicht immer einfach war.

Die haben sich Jesus zum Vorbild genommen. Was der kann, das kann ich auch.

Sich in der Angst zurückziehen oder nach vorne gehen.

Beides können sinnvolle Strategien sein.

Manchmal legt sich die Angst und Verwirrtheit beim genauen Hinschauen. Wenn es möglich ist zu überlegen:
Was wäre ein hilfreicher Schritt?
Was hat schon mal geholfen?
Was traue ich mir zu?
Wofür gibt es Unterstützung und von wem?
In welche Richtung zeigt der Kompass jetzt?

Manchmal greift keine dieser Strategien.
Manchmal rutscht uns der Boden unter den Füßen weg,
Manchmal versinken wir in Angst und Dunkelheit.

Nicht einmal die, die schon viel mit Jesus erlebt haben, können sich darauf verlassen, dass es immer gut geht.
Nicht einmal die, die sich schon oft auf seine Worte verlassen haben. Die sich hinausgewagt haben.
Nicht einmal die, von denen alle anderen sagen: Der muss es doch schaffen, wer, wenn nicht der ….

Ist einer womöglich selber schuld, wenn das Wasser nicht fest wird unter seinen Füßen und es ihn nun bis zum Hals steht?
Hättest du mehr geglaubt, fester gehofft, drängender gebetet!

Da muss ich nicht nur durch Angststürme gehen, sondern bekomme auch noch gesagt:
Wieder nicht genug gebetet.
Wieder nicht genug geglaubt.
Wieder nicht genug gehofft.

Du Kleingläubiger?

Kleinglauben. Oligopiistos.

Das ist ein Wort, das im Matthäusevangelium immer wieder vorkommt. Immer wenn es darum geht, die Situation der Jüngerinnen und Jünger zu beschreiben, wenn sie Jesus begegnen.
Es ist eine Art Bestandsaufnahme.
Gerade in diesen Momenten, in denen gespürt wird, dass einem die Angst überflutet:
kleiner Glaube, großer Zweifel, Riesenangst….

Und dann passiert es. Genau in diesem Moment, in dem das mit dem Kleinglauben und dem Zweifel ausgesprochen wird.
Es ist so unspektakulär, wird fast nebensächlich erwähnt: Und sie traten in das Boot …, Petrus und Jesus. Beide zusammen.
In dieses Nussschalenboot mitten in der aufgewühlten Angstsee.
Und der Sturm merkt, dass er jetzt keine Macht mehr hat. Und er legt sich. Und es wird still …

Wege aus der Angst.
Diese Geschichte ermutigt mich, die Angst ernst zu nehmen.
Weil hier die Angst nicht weggeredet wird.
Weil sie mich anregt, auszuprobieren, was sich womöglich schon bewährt hat: Gemeinsam mit anderen, die auch Angst haben, nach einem Ausweg zu suchen.

Vertrauen

Aber manchmal hilft das alles nicht.
Manchmal geht es vor allem darum, mitten in der Angst wieder das Vertrauen zu finden.
Sich mit dem zu Verbinden, dem vertraut werden kann.
Da geht es nicht nur um einen Menschen, der Helfen will. Mit Zuspruch, Unterstützung oder einem „Komm“ mit ausgestreckter Hand.

Da geht es um mehr.
Da geht es um Liebe.
Da geht es um Geborgenheit.
Und da geht es um Dinge, die mit Worten allein nicht ausreichend beschrieben werden können.

Auch in dieser Geschichte von der Angst mitten in der Nacht gibt es diesen besonderen Moment, wo Worte nicht reichen.
Was geschieht, geschieht ohne Worte. Sollen wir es Offenbarung nennen?

Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich. Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

Die Jünger erlebten auf einmal, was dieses „Fürchte dich nicht“ mitten in der Angst bedeutet.
Das „Fürchte dich nicht“ ist im Boot mit ihnen. Ist da, lässt sich anfassen und ansprechen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

In diesem Moment geht Jesus hinein in die Angst, in meine Angst, in mein Nussschalenboot mitten in der aufgewühlten See.
Er steigt mit ins Boot, obwohl er es wirklich nicht müsste.
Aber da ist er, mitten im Boot.

Einander nicht allein lassen in der Angst. Das ist schon viel.
Dabei hilft es mir zu wissen, dass die Angst menschlich ist, dass sie zu uns Menschen gehört.
Ohne Angst können wir uns nicht weiter entwickeln. Sie ist eine Chance zu lernen, neue Möglichkeiten zu lernen.

Deshalb ist es gut, die Angst genau anzuschauen, sich mit ihr vertraut zu machen. Denn nur wenn ich ihr nicht ausweiche, kann ich entdecken, was mir Mut macht. was mich vertrauen lässt, was mich beruhigen kann.

Aber der innerste Kern, weshalb dieses „Fürchte dich nicht“ wirken kann, sind nicht Worte. Es braucht ein Du, das mitten in der Angst anwesend ist.
Jedes „Fürchte dich nicht“ in der Bibel ist eine Kurzfassung der Zusage Gottes: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir … Ich bin dein Gott …
So Redet Gott uns mitten in der Angst an.
So ermutigt er uns zum Du.

Es ist die Intimität und Nähe einer Liebesgeschichte.
Der, der mich in solchen Momenten anspricht, der hört mein ganz leises, fast stimmlos geflüstertes „Du“.
Dann kann es passieren, dass ich mich angesehen und angesprochen fühle.
Mitten in meiner Angst. Nach Halt suchend.
Wenn ich auf die Wellen starre, mit einer Seele, die vertrauen will und doch immer wieder zweifelt in meinem Nussschalenboot in rauer See.

Dieses „Fürchte dich nicht“, das gilt auch mir. Mitten in meiner Angst. Gibt mir ein Gesicht, eine Melodie, ein Wort, eine Hand.

Dieses Wort Gottes: „Ich bin da“ ist tröstend und ermutigend.
Dieses Wort Gottes Ist ein Weg aus der Angst.

Gott sei Dank – und Amen.

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