Die schlechten Hirten und der rechte Hirte
Predigt zu Hesekiel 34, 1-2.10-16.32
1 Und des HERRN Wort geschah zu mir:
2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.
12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.
13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.
14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.
15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR.
16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.
Lutherbibel 2017; Hesekiel 34, 1-2.10-16.32
Liebe Gemeinde,
was ich heute hier lese, ist eine Abrechnung. Im wahren und brutalsten Sinn des Wortes. Gott rechnet mit den Hirten des Volkes Israel ab! Die Priester, die politisch und gesellschaftlich maßgeblichen Personen bekommen ihr eigenes Versagen vorgehalten:
Ihr seid Hirten, die nicht ihre Herde sondern sich selbst geweidet haben!
Euch geht es nicht um die Schafe, die man euch anvertraut hat, sondern um euer eigenes Wohlergehen.
Statt die Schafe mit allem Einsatz gegen Wölfe zu verteidigen, fresst ihr sie selber auf.
Ihr seid Versager in euren Job!
Nein, eigentlich seid ihr noch viel schlimmer – ihr seid nicht nur Nieten, die ihre Aufgabe nicht hinbekommen – ihr seid Verbrecher, die das Vertrauen missbrauchen, das man in euch gesteckt hat.
Puh … da muss ich mich beim predigen glatt zusammenreißen.
Da könnte ich so richtig in Fahrt kommen. Bei dem was Hesekiel vor zweieinhalbtausend Jahren geschrieben hat fallen mir sofort bestimmten Personengruppen unserer Gesellschaft ein.
Unfähige oder korrupte Politiker.
Wirtschaftsbosse, die Unternehmen an die Wand fahren, und denen das alles egal ist, Hauptsache sie haben ihre Millionengage schon mal vor dem Zugriff der Gläubiger und des Staats in Sicherheit gebracht.
Internatsleiter, die genau wissen, dass einige Lehrer die ihnen anvertrauten Schüler misshandeln und missbrauchen, aber nichts dagegen tun, um dem Ansehen des Hauses nicht zu schaden.
Das sind Hirten, die ihren Namen nicht verdienen haben. Und darum finde ich die Ankündigung Gottes ganz richtig.
So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen
Lutherbibel 2017, Hesekiel 34,10
Endlich wird dem Elend ein Ende gemacht …
… aber da merke ich, dass ich gerade den größten Fehler mache, den ich als Bibel-Leser und Bibel-Hörer machen kann:
Dass ich denke: „Ja, recht hat der Hesekiel. Da sollte der Herr XY schon gut hinhören; da wird kann er sich eine ordentliche Scheibe abschneiden“.
Doch dabei übersehe ich, das die Worte auch mir selber gelten könnten.
Mich triffts ja auch!
Denn Hirten sind war ja selbst ganz oft.
Auch uns sind Menschen, ist eine Herde anvertraut.
Wer Kinder hat, ist in diesem Sinne auch Hirte. Uns wurden Kinder anvertraut – und zwar nicht für das eigene Ego, sondern um für sie da zu sein. Mit unserer ganzen Existenz und bis zum letzten Blutstropfen.
Manchmal bin ich auch Hirte für meine guten Freunde, weil sie sich auf mich verlassen und an mir orientieren.
Wer Angehörige pflegt, wer für einem dementen oder bettlägerigen Menschen da ist, der spürt die Verantwortung, die er hat.
Wenn uns Tieren anvertraut sind. Sie sind uns ausgeliefert, da sind wir Hirten im ursprünglichen Sinn – auch wenn die Herdentiere eher auf Bello, Minka oder Hoppel hören.
Nicht zuletzt haben wir als Vereinsvorstand, als Mannschafts-Chefin, als Kirchenvorsteherin oder Feuerwehr-Gruppenführer genau solche Verantwortung als Hirte.
Werde ich da immer dem gerecht, was von mir erwartet wird?
Wie oft spüre ich da, wie ich überfordert bin?
Oder bin ich ein schlechter Hirte, weil mich meine Aufgabe als Hirte an meine Grenzen bringt. Weil ich spüre, dass ich auch einmal Grenzen setzen und auf mich selber Rücksicht nehmen muss.
Hirte – das ist ein Knochenjob! – Nicht nur bei den blökenden Schafen.
Hirte sein – Verantwortung für Andere übernehmen – wer da ein bisschen selbstkritisch ist, spürt, wie sehr die Vorwürfe und die Kritik unseres Predigttextes an einem nagen können – auch wenn man doch eigentlich zu denen gehört, die es gut meinen und wirklich das beste wollen.
„Gott – übernimm!“
Zurück zu der Abrechnung des Propheten mit den unfähigen und böswilligen Hirten des Volkes Israel.
Da kündigt Gott an: Ab jetzt kümmere ich mich selbst um mein Volk:
Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR.
Lutherbibel 2017, Hesekiel 34,15.16
Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.
Das klingt richtig gut in meinen Ohren. Gott übernimmt die Hirtenrolle. Die unfähigen Hirten verlieren ihren Job.
Die gierigen Manager fliegen raus, allen Strippenziehern und Amigos wird das Handwerk gelegt – und Gott greift durch.
Die Welt bekommt eine neue Qualität, die Ausgebeuteten können wieder aufatmen, die Unterdrückten können sich wieder aufrichten.
Auf dem ausgetrockneten Boden der Gesellschaft sprießen wieder grüne Halme der Hoffnung.
Eine wunderbare Vision, die der Prophet Hesekiel vor unsere Augen malt …..
oder besser gesagt, die ich für mich als Bild entwerfe.
Was ist daraus geworden?
Wie wurde diese wunderbare Abkündigung Wirklichkeit?
Was damals kam, war nicht ein Gott als Super-Hirte, der alle Wünsche erfüllt, sondern vielmehr ein neuer König mit Namen Kyros, ein heidnischer aus dem Ausland noch dazu.
Durch ihn hat sich die Situation der Israeliten verändert. Die schlimmen Zeiten, in denen Hesekiel und seine Zeitgenossen lebten, wandelten sich.
Es begann eine neue Ära, ein Wiederaufbau des eigenen Landes, der sich über Jahrzehnte hinzog.
Es gab keinen Gott als sichtbaren Hirten, aber eine Veränderung des Miteinanders, neue Ziele, neue Prioritäten. Und neue Personen, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen.
Jesus – auch der gute Hirte
Ob Hesekiel geahnt hat, dass Gott in noch fernerer Zukunft Jesus als den Guten Hirten schicken wird?
Derjenige, der in ganz neuer Weise bereit war, für das Volk Verantwortung zu übernehmen.
Der nicht an sich, seinen Gewinn oder sein Ansehen dachte, sondern bereit war, zum Wohl seiner Herde bis zum Äußersten zu gehen?
Zu sterben, um den anderen das Leben zu schenken.
„Ich bin der Gute Hirte!“ hat Jesus gesagt.
„Der Gute“ – nicht irgendeiner – mit ihm kann sich keiner messen.
In ihm hat Gott selber die Rolle des Hirten übernommen. Das ist einmalig.
Der Gute Hirte – Ich selbst will meine Schafe weiden – sagt Gott.
Ein guter Hirte – das krieg ich vielleicht auch hin
In der Schriftlesung haben wir gehört, wie Jesus sagte: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Ein guter Hirte …. naja, da gibt es eben viele und Jesus einer davon.
Sollte da nicht eher „Ich bin DER Gute Hirte“ stehen, das ist doch was ganz anderes.
Als ich diese Predigt geschrieben habe, hat mir diese Formulierung weitergeholfen:
Weil sie die Alleinstellung von Jesus als guten Hirten auflöst.
Es ist eben nicht nur allein DER gute Hirte, sondern auch das Vorbild für die vielen von uns, die auch ein guter Hirte / eine gute Hirtin sein wollen.
Wir sind nicht die Helden – die alles hinbekommen, die absolut selbstlos und fehlerlos für Andere Verantwortung übernehmen können.
Aber wir können diesem einen guten Hirten Jesus nachfolgen – mit ihm als Vorbild.
Ohne Scheu vor Verantwortung und ohne Scheu davor, Fehler zu machen, denn die werden passieren. Denn wir sind Menschen.
Aber ohne Hirten geht es nicht. Wir brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen, und damit manchmal Handlanger Gottes sind, ohne es zu wissen.
So, wie einst dieser König Kyros, kurz nach dem Propheten Hesekiel.
Der hatte keinen Schimmer davon, dass Gott durch ihn, seinem Volk Israel eine neue Zukunft geschenkt hat.
Amen
- Predigt zu Offenbarung 5, 6–14
- Jesus und Nikodemus