Predigt zum 1. Brief des Petrus 1,3–9 am 27.04.2025 in der Nehrener Veitskirche
„Gelobt sei Gott …“ – so beginnt der Brief – und sofort stockt mir der Atem.
Wie kann man Gott loben, wenn Leid und Bedrängnis zum Alltag gehören?
Ist das nicht unsensibel?
Anmaßend den Leidenden gegenüber?
Ich möchte jemanden, der schwer zu tragen hat nicht als erstes zumuten: „Lobe Gott“?
Unser Predigttext, der erste Petrusbrief, bringt diese Spannung auf den Punkt:
Gotteslob und Schmerz, Hoffnung und Erfahrung, Rettung und Verlassenheit stehen dicht beieinander.
Diese Spannung ist offensichtlich – und sie ist zeitlos aktuell
Die Empfänger des Petrusbriefes leben zerstreut in der Fremde.
Sie erleben Verfolgung, Benachteiligung, Entfremdung.
Und gerade ihnen ruft der Brief zu:
„Gelobt sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus! Der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung…“
Lebendige Hoffnung. Nicht Vertröstung. Aber auch kein einfacher Trost.
Diese Verse reden nicht naiv über das Leid hinweg.
Im Gegenteil:
Sie benennen das Leid – aber sie halten dagegen.
Der echte Glaube, sagt der Brief, ist „viel kostbarer als Gold“ –
gerade weil er sich im Feuer des Leids bewährt.
Aber was heißt das?
Ist Leid der Prüfstein echten Glaubens?
Zwischen Verheißung und Erfahrung
Theologisch entsteht eine Spannung, die nicht aufgelöst werden darf.
Es klafft zwischen der Verheißung göttlicher Nähe und der Erfahrung von Gottesferne eine große Lücke.
Damals wie heute.
„Ist mein Glaube stark genug?“
„Warum entzieht sich Gott mir immer wieder?“
Diese Fragen brennen vielen unter den Nägeln – auch in unseren Gemeinden.
Und sie werden besonders laut, wenn Menschen durch schwere Zeiten gehen.
Wenn Gottes Gegenwart fehlt – persönlich und global
Vielleicht sitzt heute jemand hier,
der diesen Riss ganz persönlich kennt.
Der spürt, was es heißt, von Gott nichts zu spüren.
Der – wie Elie Wiesel in seinem autobiografischen Bericht „Die Nacht“ gefragt hat: „Wo ist Gott?“
In „Die Nacht“ schildert er das Grauen im Konzentrationslager Auschwitz– den körperlichen Schmerz, die Erniedrigung, den Verlust aller Hoffnung.
Eine Szene hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt:
Ein Kind wird öffentlich erhängt. Die Lagerinsassen müssen zusehen. Einer flüstert:
„Wo ist Gott?“
Und Elie Wiesel schreibt:
„Ich hörte eine Stimme in mir antworten: Dort – dort hängt er, am Galgen.“
Gotteslob?
In dem Moment unmöglich.
Diesen Schmerz nimmt der Petrusbriefes auf.
Indem er uns erzählt:
Glaube lebt nicht vom Sieg, sondern vom Durchhalten in der Anfechtung.
In dem Augenblick als das Grauen seinen Höhepunkt erreichte.
In dem Augenblick als das Kind am Galgen baumelte und jemand flüsterte:
„Wo ist Gott?“ – „Er hängt dort.“
Wiesels Erzählung, die in ihrer kargen Schlichtheit erschüttert,
ist längst nicht nur eine Erinnerung an die Shoah.
Sie hat eine unheimliche Aktualität –
angesichts der Bilder aus der Ukraine,
den Massakern im Sudan,
dem nicht enden wollenden Sterben in Gaza.
Dem Leid überall in der Welt.
Und sie trifft uns auch ganz persönlich:
– im Krankenhaus
– am Grab
– im Gespräch über zerbrochene Hoffnungen
– im Ringen um ein Gebet, das nicht mehr über die Lippen kommt.
Vielleicht ist jemand unter uns, der wie ich – wie Jesus am Kreuz – schon einmal geschrien hat:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Psalm 22,2)
Dann ist es gut zu wissen:
Du bist damit nicht am Rand des Glaubens,
sondern mitten in seinem innersten Zentrum.
Denn auch Jesus hat so geschrien.
Sein Schrei macht deutlich:
Der Glaube kennt nicht nur das Licht,
sondern auch die Nacht.
Und wer schreit, glaubt oft tiefer, als wer nur formelhaft betet.
Glauben heißt: Nicht loslassen
Der 1. Petrusbrief hält an dieser Spannung fest.
Er verschweigt das Leid nicht – aber er legt die Hoffnung daneben.
Nicht als leichten Ausweg. Sondern als Einladung zum Durchhalten.
Denn Hoffnung ist keine Vertröstung.
Sie ist ein Anfang – oft leise, kaum zu hören,
aber stark genug, um uns neu auszurichten.
Darum spricht der Paulusbrief auch von Gottes großer Barmherzigkeit die uns zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren hat.
Wer hofft, der sieht mehr –
nicht weil die Welt sich verändert hat,
sondern weil sich der Blick auf sie verändert.
Diese Hoffnung wächst nicht aus einem abstrakten allmächtigen Gott,
sondern aus einem Gott,
der uns annimmt und mit uns mitleidet,
der sich immer wieder entzieht
und doch nie ganz geht.
Zwischen Kreuz und Auferstehung
Darum ist es kein Zufall, dass diese Verse am Sonntag Quasimodogeniti gelesen werden –
in der Woche nach Ostern.
Nach dem Jubel.
Nach dem Osterlachen.
Jetzt kommen die Zweifel.
Jetzt kommen die Fragen.
Jetzt kommt der Alltag.
Thomas ist nicht dabei, als Jesus den Jüngern zuerst erscheint.
Wir wissen nicht, wo er war. Vielleicht hat er das leere Zimmer nicht ausgehalten.
Vielleicht hat er – wie viele von uns – einfach Abstand gebraucht.
Abstand vom Schmerz.
Von der Hoffnung.
Von all dem, was ihn innerlich zerriss.
Und dann erzählen die anderen:
„Wir haben den Herrn gesehen!“
Doch Thomas sagt:
„Wenn ich nicht die Male der Nägel sehe und meine Finger in seine Wunden lege, werde ich nicht glauben.“
Das ist kein bloßes Zweifeln.
Das ist: Verletzung, Enttäuschung, Sehnsucht.
Thomas steht mitten in der Spannung,
zwischen dem Ruf zur Hoffnung und dem Gefühl, allein gelassen worden zu sein.
Zwischen Ostern und Karfreitag.
Zwischen Licht und Dunkel.
Und Jesus?
Jesus kommt ihm nicht mit Vorwürfen, sondern mit offenen Händen.
Er sagt nicht: „Du hättest glauben sollen.“
Er sagt:
„Reich deinen Finger her … sieh meine Hände … und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Er nimmt Thomas ernst.
Seine Fragen.
Seine Sehnsucht.
Seinen Schmerz.
Und genau in diesem ehrlichen Ringen entsteht Glaube.
Kein Glaube aus Beweis.
Sondern aus Begegnung.
Und Thomas antwortet mit einem der stärksten Worte des Neuen Testaments:
„Mein Herr und mein Gott!“
Ein Bekenntnis mitten aus dem Riss heraus –
nicht obwohl, sondern weil die Wunden noch sichtbar sind.
Das meint der Petrusbrief wenn er schreibt:
„Ihr habt ihn nicht gesehen und habt ihn doch lieb; ihr glaubt an ihn und werdet euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude…“
Eine Hoffnung, die trägt
Diese Freude ist kein Lächeln auf Knopfdruck.
Sie ist eine Erfahrung, die leider oft erst im Rückblick entsteht.
Sie ist die Kraft, wieder aufzustehen.
Noch einmal zu vertrauen.
Noch einmal loszugehen.
So wie Frodo und Sam aus J.R.R. Tolkins „Herr der Ringe“
Als sie mitten im dunklen Land Mordor am Rand der völligen Erschöpfung stehen sah Sam nach einem Wolkenbruch
„… einen weißen Stern eine Weile funkeln.
Die Schönheit davon traf sein Herz, als er aus dem verlassenen Land aufblickte, und die Hoffnung kehrte zu ihm zurück.
Denn wie ein Strahl, klar und kalt, durchbohrte ihn der Gedanke, dass am Ende der Schatten nur eine kleine und vergängliche Sache war:
Es gab Licht und hohe Schönheit für immer jenseits des Bösen.“
Der Stern ändert nicht die Lage der Freunde– sie bleiben in Gefahr.
Aber Sam sieht mehr als nur die Dunkelheit.
Er sieht das Licht.
Und das genügt, um weiterzugehen.
Diese Szene ist fast wie ein modernes Gleichnis für das, was der 1. Petrusbrief sagen will:
Glaube heißt nicht, dass alles leicht wird.
Glaube heißt, dass uns – manchmal überraschend – ein Licht aufgeht.
Ein Hoffnungsschimmer.
Eine Ahnung von etwas Größerem, das uns trägt.
Vielleicht ist der Glaube genau das: Nicht ein Sieg über das Dunkel, sondern der Entschluss, im Dunkel weiterzugehen – weil irgendwo ein Stern leuchtet.
Die Worte des Petrusbriefes sind mutig.
Sie trauen uns zu, dass wir erkennen:
- Wir sind nicht allein.
- Wir leben mit und von dem Gott, der uns mit seiner lebendigen Hoffnung neues Leben schenkt – jeden Tag.
Ich möchte mir mit dieser Hoffnung meinen Glauben bewahren.
Nicht als Schild gegen das Leid.
Sondern als Flamme, die in der Dunkelheit brennt.
Nicht laut.
Aber treu.

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