Langenecks Welt

Fürchte dich nicht!

Predigt zu Jesaja 43, 1-7 in der Unterensinger Michaelskirche

„Fürchte dich nicht!“ Dieser Zuspruch Gottes aus dem heutigen Predigttext zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Bibel, vom Ersten Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes.

„Fürchte dich nicht!“
So redete Gott mit den Vätern des Volkes Israel,
Abraham, Isaak und Jakob.

„Fürchte dich nicht!“
sprach er zu Mose und Josua.

„Fürchte dich nicht!“, hört im Neuen Testament Maria von dem Engel, der ihr ankündigt, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen wird.

Was hören die Hirten in der Weihnachtsgeschichte ebenso wie die Frauen am leeren Grab Jesu?
„Fürchtet euch nicht!“

Jesus spricht so den Fischer Petrus an:
„Fürchte dich nicht!
Von nun an wirst du Menschen fangen.“

Den Apostel und Missionar Paulus ermutigt in Griechenland eine nächtliche Vision „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht!“

Und am Ende der Bibel schließlich, in der Vorausschau des Sehers Johannes auf das Ende der Welt, erklingen die Worte noch einmal:
„Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte.“

Gott steht am Anfang und am Ende.
An die Anfänge erinnert Jesaja, der Verfasser des Predigttextes.
Er und seine Zuhörer sind schon in der zweiten Generation im Exil.
Sie sind nach verlorenem Krieg Gefangene der Babylonier.
Doch nun kündigt er die Heimkehr an.

Er ist sich sicher:
Wie schon die Vorväter aus Ägypten durch Gottes Hand befreit wurden, so wird Gott auch nun die Gefangenen und Verstreuten zurückführen.
Weil Gott die Treue hält, die er seinem erwählten Volk geschworen hat.

„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“

Es ist Absicht, dass Jesaja die Israeliten hier mit dem Namen „Jakob“ anspricht.
Denn Jakob ist der Vater der 12 Stämme Israels.

Und es fällt auf, dass die befreiende Tat Gottes in Jesajas Augen bereits geschehen ist: „Ich habe dich erlöst“, nicht: „Ich werde dich erlösen“.
So sicher ist er.
Gott vergisst Israel nicht.
Also fürchte dich nicht.

Und wir heute?
Von Gefangenschaft kann bei uns doch keine Rede sein.
So grenzenlos frei sind wir, dass wir Mühe haben, den Überblick zu behalten.
Frei zu wohnen, wo wir wollen,
freie Auswahl an Nahrung, Unterhaltung und Gesellschaft.

Oder doch nicht?

Der Krieg in der Ukraine.
Die gestiegenen Lebensmittelpreise.
Die angespannte Wohnraumsituation.
Leistungsdruck im Betrieb.
Was sagen die Nachbarn, Freunde, Bekannte?
Das schränkt gleichzeitig unsere Freiheit ein.
Ob nun real oder nur im Kopf.
Das kann Angst machen.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“
Es tut gut, wenn uns jemand beim Namen ruft, wenn wir die Orientierung verloren haben.
Ein überfüllter Bahnhof oder Flughafen, oder eine Feier mit zahllosen Gästen. Lauter unbekannte Gesichter – dann tut es gut, einen Bekannten zu entdecken, der mich mit meinem Namen anspricht.
Der mir das Gefühl nimmt, allein unter Fremden zu sein.

Heute ist der Sonntag des Taufgedächtnisses.
Er soll an die Taufe erinnern, auch an die eigene.
Nicht in dem Sinne, dass ich an die Einzelheiten zurückdenke, wie es bei meiner Taufe zugegangen ist.
Das ist mir nicht möglich, und ich bin sicher nicht der einzige, der nur noch ein paar alte Fotos und vielleicht noch bruchstückhafte Erinnerungen an das hat, was andere mir erzählten.

Nein, der Sonntag heute will mich erinnern, dass ich getauft bin, und er stellt zugleich die Frage:
Was bedeutet es denn eigentlich, dass ich getauft bin?

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“
Die Stimme, die hier spricht, ist mir vertraut.
Gott hat sich in der Taufe an meine Seite gestellt.
Bei der Taufe wurde nicht nur mein Name genannt, sondern ich wurde auch im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft.
Mein Name wurde mit Christi Namen verbunden.
Und damit hineingenommen in sein Leben.

Die Taufe bedeutet nicht nur einen ganz besonderen Moment zu Beginn unseres Lebens.
Es geht um unser ganzes Leben.
Ein Mensch kann sich von der Kirche lossagen, kann sich von ihr trennen, ganz austreten.
Wer nicht mehr Mitglied ist, verliert damit bestimmte kirchliche Rechte,
kann z.B. nicht mehr Pate werden.
Aber die Taufe verliert er nicht.

Denken Sie nur an das Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn, das besser das Gleichnis vom wiedergewonnenen Sohn heißen müsste.
Dieses Gleichnis ist auch hier am Taufstein abgebildet.
Der Sohn verspielt und verliert, als er sich vom Vater trennt, den ausbezahlten Erbteil – doch er ist immer noch Sohn.

„Fürchte dich nicht!“ heißt auch:
Kraft meiner Taufe muss ich keine Angst um mein Leben haben.
Ich muss mich nicht vor Menschen fürchten, auch nicht vor Anforderungen, die mich manches Mal schier zu erdrücken scheinen.

Ich muss nicht fürchten, zu kurz zu kommen, etwas zu verpassen in dem Supermarkt der grenzenlosen Freiheit.
Gott nimmt mir die Angst um mein Leben.
Ich muss mich nur darauf besinnen, in wessen Namen ich getauft bin.

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“
Jeder Mensch trägt seinen eigenen, unverwechselbaren Namen.
Darüber denken wir nicht groß nach, es geschieht sozusagen automatisch.
Und wenn es doch einmal mehr als einen Willi Müller im Dorf gibt, dann hat er in der Regel noch einen Zusatz- oder Spitznamen, der für Eindeutigkeit sorgt.
Das ist gut so.
Wir können nicht verwechselt werden.
Auch nicht einfach ausgewechselt wie eine Nummer.

Und wenn Gott mich „bei meinem Namen“ ruft, dann ist das ebenso eindeutig.
Er ruft nicht „den Dritten von links“ oder „den Langen mit dem Bart“,
sondern er meint mich, weil er mich kennt.

Mein Name ist ihm vertraut, mein Name ist mit seinem verbunden.
Bei der Taufe werden Vor- und Nachname genannt.
Der Familienname sagt, aus welchem Haus wir stammen, wohin wir gehören, wer unsere Nächsten sind.
Ich brauche niemand zu erklären, wie wichtig die Menschen sind, die das Leben eines Kindes am Anfang prägen.
Wir wissen doch auch selbst, wie entscheidend unsere Eltern, Großeltern und Geschwister unser Leben beeinflusst haben.

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“
In der Vorstellungswelt des Alten Testaments hat die Kenntnis des Namens oft noch eine magische Dimension.
Da ist der Einfluss aus Religionen der Nachbarvölker spürbar.
Namen lassen sich beschwören, verfluchen, zum Zaubern verwenden.
Dann klingt es unheimlich und bedrohlich:
Du bist mein!

Doch der Gott, der diesen Satz spricht, ist ein anderer.
Er ist in seiner Liebe so weit gegangen, uns Jesus Christus zu schicken.
Vergessen wir das bitte nicht.
Nach dem Leben und Sterben Jesu Christi kann ich
„Du bist mein“
nur als uneingeschränkte Liebeserklärung Gottes an mich verstehen.

Zwar kann ich das manchmal kaum glauben, wenn ich in den Spiegel schaue, oder wenn ich abends denke, was ich den Tag über
anders oder besser getan hätte, aber es ist so:
Gott sagt „Du gehörst immer noch zu mir.“

Gott steht am Anfang meines Lebens und am Ende.
Und selbstverständlich auch dazwischen. Alle Tage“, wie es der auferstandene Jesus seinen Jüngern versprochen hat.
Wir haben es in der Schriftlesung (Mt 28, 16-20) gehört.

Und deshalb:
Fürchte dich nicht!

Amen.

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