Monat: Juli 2021

  • Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten.  –  Predigt zu 1. Korinther 6,9-14.19-20

    Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten. – Predigt zu 1. Korinther 6,9-14.19-20

    Gottesdienst am 25.07.2021 in Unterensingen

    Der Predigttext für heute steht in den Korintherbriefen von Paulus im 6. Kapitel. Und das sind wirklich Briefe (im Unterschied zu anderen neutestamentlichen Schriften in Briefform, die eher theoretische Lehrschreiben sind).

    Nein:
    Zwischen Paulus und den Christen von Korinth gab es eine lebhafte Korrespondenz hin und her.
    Man kannte sich. Und man schonte einander nicht.
    Immerhin hatte der Apostel diese Männer und Frauen selbst für den Glauben an Christus gewonnen, sie getauft, ihre Gemeinde gegründet.

    Korinth, stelle ich mir vor, war das Amsterdam der Antike. Eine Stadt, schrill, laut, bunt, voller Menschen aus den verschiedensten Kulturen.
    Menschen, die exotische Speisen mitbrachten, fremde Lebensweisen.
    Götter und Götzen aller Couleur verehrte man hier.
    Händler dealten mit allem, was Geld brachte.
    Tagediebe übten ihr Gewerbe aus, ebenso wie die vielen Prostituierten der Hafenstadt. Genug wohlhabende Männer, die deren Dienste in Anspruch nahmen, gab es auch. Und dann war da noch die berühmt berüchtigte Tempelprostitution im Aphrodite-Tempel. In Korinth wurde gemäß dem Motto: „Alles ist erlaubt“ gelebt.

    Und dem konnten sich offenbar auch die getauften Christen nicht immer entziehen. Paulus hatte jedenfalls Grund, ihnen einige deutliche Worte zu schreiben:

    Wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?
    Täuscht euch nicht!
    Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.
    Und solche sind einigen von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes

    Lutherbibel 2017 1. Korinter 6, 9-11

    Was für eine Liste von Lastern!

    Haben die Korinther Christen wirklich ein so verdorbenes Vorleben mitbrachten?
    Oder spricht so ein Text eher Bände über seinen Verfasser?

    Über Paulus als verklemmten, leibfeindlichen Typen, der offensichtlich ein Problem mit Frauen hatte.
    Und der zusätzlich noch ein Problem hatte mit Sexualität, mit der Freude am Essen und einem guten Tropfen… Also mit allem, was Spaß macht.

    Und sind es nicht Bibeltexte wie dieser, die jahrhundertelang Verheerendes in den christlichen Kirchen anrichteten? Die schuld sind an der engen Sexualmoral der Kirche.
    Die als Rechtfertigung für die physische und psychische Gewalt in evangelischen Einrichtungen und Diakonissenhäusern diente.

    Die zu Vertuschung, Machtmissbrauch in kirchlichen Kreisen missbraucht wurde. Die zu einer unbegründeten Homophobie führte. Ja, grundlegend zur Abwertung der leiblichen Seite des Menschseins beitrug.

    Ganz unschuldig an diesen Verformungen sind Paulus‘ Texte wohl nicht. Andererseits hat man sie oft auch missverstanden oder missverstehen wollen. Lesen wir weiter.

    Paulus an die Korinther:

    Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.

    Luterbibel 2017 1. Korinther 6, 12-13

    Alles ist mir erlaubt.

    An vier Stellen zitiert Paulus dieses damals unter den Griechen beliebte Motto.
    Er lehnt es nicht ab.
    Er sagt vielmehr: Ja, stimmt! Für Christen mehr als alle anderen. Wer in Christus lebt, ist frei, alles zu tun. Es gibt keine Verbote. Essen ist Ernährung und keine religiöse Handlung. Und du darfst mit jedem zu Tisch sitzen – Sünder oder gerecht, gläubig oder Heide.

    Frei heißt aber auch: Ich bin verantwortlich für mein Tun. Ich muss die Grenzen für mich setzen und entscheiden, was ich vor Gott vertreten kann und wann ich anfange, mich von Dingen gefangen nehmen zu lassen.

    Ich muss selbst darauf achten, ob ich im Ausleben meiner Freiheit nicht die Freiheit des anderen einschränke, ihn verletzte, beschäme oder bevormunde.

    Auch aus dieser Perspektive könnten wir Paulus‘ Lasterkatalog lesen – nicht von den Tätern her formuliert, sondern aus Sicht der Opfer.

    Dann hört es sich womöglich ganz anders an. Dann klingt es so: Niemand soll aus Not zur Prostitution gezwungen sein! Und niemand soll diese Not ausnutzen. Niemand – weder Frau noch Mann, weder Kind noch Erwachsener – darf als Sexualobjekt benutzt werden. Niemand soll geschmäht, gemoppt, durch üble Nachrede verleumdet oder ausgeraubt werden.

    Paulus beendet seine Rede nicht ohne eine klare Ansage, was der Maßstab sein soll für unser freies, vor Gott verantwortetes Leben – auch im Umgang mit dem eigenen Körper.

    Oder wisst ihr nicht,

    dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist,

    der in euch ist und den ihr von Gott habt,

    und dass ihr nicht euch selbst gehört?

    Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

    1. Korinther 6,19-20

    Von wegen leibfeindlich! Für den Juden Paulus ist Glaube und die Zugehörigkeit zu Christus eine höchst leibliche Angelegenheit.

    Der Jude Paulus muss mit dieser Sichtweise bei den griechisch geprägten Korinthern einiges aufgewühlt haben. Denn die Griechen sahen im Körper nur eine Hülle, in der der eigentliche Mensch mit Seele und Geist wohnt. Den einen von ihnen war er störendes Gefängnis und musste möglichst kasteit werden durch Askese und Entsagung. Andere gaben sich zügellosen Ausschweifungen hin in der Meinung, diese körperlichen Dinge hätten ja eh nichts mit ihnen selbst zu tun.

    Die Bibel erzählt anders vom Menschen. Sie sieht die Menschen stets in seiner Ganzheit von Seele, Geist und Leib. So handeln und so glauben die Menschen der Bibel immer auch mit ihrem Leib.

    Gottes Liebe verkündigen geht nicht ohne Hände, die einander halten. Seine Vergebung weiterschenken geht nicht ohne Augen, die einander sehen. Seine Fürsorge predigen geht nicht ohne Speisung für die Hungernden und Kleidung für die Frierenden, Besuch bei den Einsamen.

    Der Gedanke, Glaube könne reine Kopfsache sein, war Paulus vollkommen fremd.

    Wie nahe wir ihm da sind, das hat Corona uns gezeigt. Gottesdienst, ohne zu singen, dafür mit Maske und Abstand, ist machbar. Digitale Andachtsformen sind eine bereichernde Ergänzung. Frauenfrühstück über ZOOM eine witzige Erfahrung und der Start ins neues Jahr ohne Sekt und Umarmungen waren besser als nichts.

    Und doch! Es lässt sich nicht leugnen, dass uns, als „Gemeinschaft der Heiligen“, eine wesentliche Dimension fehlt, wenn das körperliche, leibhaftige Beisammensein gestrichen wird.

    Darum preist Gott mit eurem Leibe.

    Ein Mann ging diese Woche durch Radio, Fernsehen und Internet:  Hubert Schilles, der „Baggerheld von der Steinbachtalsperre“, der nicht Held genannt werden will. Achtzehn Meter unter dem Wasserspiegel räumte er mit seinem Bagger bei Lebensgefahr einen zugelaufenen Abfluss der Talsperre frei. Mit 68 und als Chef eines großen Tiefbauunternehmens hätte er auch einen Mitarbeiter schicken können. Aber gerade wegen der Gefahr, so sagt er im Interview, musste er den Job selbst machen. Und fügt hinzu: „Mit Hilfe von Gott hat das gut funktioniert. Ich bin ein gläubiger Mensch. Du Herr, musst wissen, was passiert`, habe ich gesagt. Und ich hatte keine Sekunde Angst.“ Wenn das kein Beispiel ist, wie ein Mensch seinen Schöpfer preist! Nicht nur mit Worten und Gedanken, sondern mit seinem Leib.

    Was nehmen wir aus unserer Begegnung mit Paulus und seinen korinthischen Christen in die kommende Woche mit?

    Gott mit dem Leib preisen.

    Den Gedanken nehme ich mit und damit verbunden die Anregung, den christlichen Glauben ohne Scheu noch mehr als ein leibliches füreinander-Dasein zu leben. Wer krank ist, alt oder gebrechlich, wird das Gefühl teilen, dass der Körper zum Gefängnis werden kann. Er braucht unser tatkräftiges Mit-Zupacken, unseren liebevollen Blick und manchmal einen stützenden Arm.

    Mein Leib – ein Tempel des Heiligen Geistes.

    Auch das nehme ich mit. Warum nicht dem Schöpfer bewusst auch einmal Danke sagen;  dafür, dass ich einen Körper habe, der mich alles im Leben, das Schöne wie das Schmerzliche, sinnlich erfahren lässt. Dass ich Hände habe, die ich reichen kann.
    Ein Geschenk ist das – vor allem in Pandemiezeiten. Dass ich Beine habe, die gehen, laufen und Rad fahren können. Dass ich atme, singe, die Lungen sich füllen, das Zwerchfell sich spannt. Danke, Gott, für meinen Körper!

    Und das dritte, was ich mitnehme: Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten.

    Einmal wieder verstärkt darauf achten:
    Was tut meinem Körper eigentlich gut? Und was nicht? Wo bin ich in Anhängigkeiten, aus denen ich mich mit Gottes Hilfe gern befreien möchte? Und: Wie möchte ich als ganzer Mensch mit Geist, Seele und Leib mit anderen in Beziehung treten? Dass ich, soviel an mir liegt, niemanden herabsetze, bedränge oder für meine Wünsche in Besitz nehme. Dass ich in jedem Mitmenschen ein von Gott geheiligtes Leben sehe. Ein Leben, das leben will, selbstbestimmt, wertgeschätzt und frei.

    Amen

  • Vertrauen – Elia am Bach Krit und bei der Witwe zu Sarepta – Predigt zu 1. Könige 17,1–16

    Vertrauen – Elia am Bach Krit und bei der Witwe zu Sarepta – Predigt zu 1. Könige 17,1–16

    Gottesdienst in Aichtal-Aich am 18. Juli 2021

    Was es heißt Hunger zu haben weiß ich.
    Wenn ich Hunger habe, dann gehe ich an den Kühlschrank und hole mir da etwas raus. Dann ist der Hunger wieder gestillt.
    Wenn der Kühlschrank leer ist, dann gehe ich einkaufen und fülle ihn wieder.

    Wie es ist Hunger zu haben und diesen Hunger nicht stillen zu können. Also nicht für kurz wegen einer Diät oder einer Fastenkur, sondern wirklich Hungern. Ohne die Möglichkeit an Essen heranzukommen.
    Das weiß ich aus eigener Erfahrung nicht.

    Ich kenne Geschichten über Hunger aus dem Krieg und der direkten Nachkriegszeit.
    Ich kenne Hungergeschichten aus Eritrea, der Sahelzone.
    Hungergeschichten aus heutiger Zeit.
    Hungergeschichten, bei denen Menschen wirklich an Nahrungsmangel gestorben waren.
    Gott sei Dank mussten weder ich noch meine Kinder so etwas erleben.

    Eine solche Hungergeschichte bekommen wir im Buch 1. Könige 17,1–16 erzählt.

    Etwa Im Jahr 860 vor Christus, also vor etwa 3000 Jahren, gerät die Ordnung der Welt aus den Fugen.
    Der Himmel verschließt sich – wochenlang, monatelang sind keine Wolken zu sehen, kein Regentropfen zu spüren.
    Das kostbare Wasser verdunstet, der Erdboden trocknet aus.
    Menschen und Tiere verlassen mit ungewissem Ziel ihre Heimat.
    Totenstille über dem ganzen Land.

    Aber dann bekommt die grenzenlose Öde Namen und Gesichter. Da ist der Prophet, die Witwe und ihr einziger Sohn.
    Ein Drama spielt sich vor unseren Augen ab. Wir sehen eine weinende Mutter, Holzstücke für ein Feuer zusammentragen, um ein letztes Brot für sich und ihren Sohn zu backen, eine Henkersmahlzeit. Ein Bild des Grauens.

    Dies ist Vergangenheit, gewiss!
    Auch heute ereignen sich Krisen, hier und auf der ganzen Welt.
    Eine Ausnahmezeit wie die Coronakrise lässt uns dies hautnah erleben.
    Für uns hier in Aich führt die Krise nicht zur Katastrophe.
    Ganz im Gegensatz zu anderen Teilen in der Welt.
    Dort schlägt das Virus in voller Härte zu.
    Dort wo Menschen bereits durch Krieg und Hunger aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
    Dort wo Menschen schon in normalen Zeiten mit dem Hunger leben müssen.
    Dort wo Menschen auf Grund ihres Glaubens verfolgt und getötet werden – darunter auch viele Christen.
    Dort ist die Welt katastrophal.

    Wir befinden uns in Israel. Ahab ist der aktuelle König über Israel.
    Von ihm heißt es ein Kapitel zuvor, dass er Böses tat, und zwar mehr als alle Könige, die vor ihm waren.
    Er hat sich vom Gott Israels abgewandt und mit seiner Frau unterstützen er den Baals-Kult. Baal war ein Wettergott, der Wind, Wolken und Regen beherrscht. Indem er die Dürre beendet, ist er Spender der Fruchtbarkeit.

    So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.“ Das ist die Kampfansage des Elia, als Prophet Gottes gegen Baal und somit auch gegen Ahab.
    Da kommt einer aus der Provinz, baut sich vor dem König auf und macht ihn und sein Gott lächerlich.

    Natürlich schäumt König Ahab vor Wut und er gibt den Befehl Elia töten zu lassen.
    Elia muss sofort fliehen. Zum Glück hat Elia – er ist ja Prophet – einen heißen Draht zu Gott. Und Gott sagt ihm: „Verschwinde sofort von hier. Wandere nach Osten und verstecke dich am Bach Krit. Aus dem Bach kannst du trinken und es werden Raben kommen, die dich versorgen werden.“

    Elia vertraut Gott.
    Er versteckt sich nicht bei Verwandten oder Bekannten.
    Er packt sich auch nicht noch schnell ein Überlebenspäckchen.
    Er tut das, was Gott sagt, und wandert direkt zu dem Bach.
    Und tatsächlich: Raben bringen ihm Brot und Fleisch.
    Elia hat erst einmal alles, was er zum Leben braucht. Gott hat sein Versprechen gehalten und er sorgt für ihn.

    Doch dann, eines Tages, merkt Elia, dass der Bach immer weniger Wasser hat – denn es regnet nicht mehr.
    Das hatte Elia dem Ahab ja auch an den Kopf geworfen:
    Gott würde es nicht mehr regnen lassen, weil er und nicht Baal der Spender der Fruchtbarkeit ist.
    Nun bekommt auch Elia die Auswirkungen dieser Tatsache zu spüren.
    Wieder redet Gott zu Elia:
    Gehe nach Sarepta. Das ist fünf Tagesmärsche entfernt. Kurz hinter der Grenze zu Israel.
    Dort habe ich einer Witwe befohlen, dich zu versorgen.

    Was wird sich Elia gedacht haben?
    Alles klar! Eine Witwe wird mich versorgen. Eine, die selbst nichts hat. Wie soll das funktionieren?
    Witwen gehörten damals zu dem Ärmsten der Armen, oft waren sie auf Almosen angewiesen.
    Elia – der große Mann Gottes – abhängig von einer Witwe.
    Wieder muss Elia vertrauen – auf Vorschuss.
    Er kann sich absolut nicht sicher sein:
    Kann diese Witwe ihn tatsächlich versorgen? Nach menschlichem Ermessen ist das höchst unwahrscheinlich.
    Soll er wirklich fünf Tagesmärsche durch die Wüste auf sich nehmen?
    Was, wenn er am Ende feststellt, dass es umsonst war?
    Zudem liegt Sarepta außerhalb von Israel.
    Wer sollte ihm da sonst wohl gesonnen sein und ihm von den ohnehin knappen Lebensmittel etwas abgeben?

    Aber Elia wagt es zu vertrauen.
    Er tut das total Widersinnige.
    Er unternimmt diesen Gewaltmarsch durch die sengende Sonne.
    Er macht sich von einer Frau abhängig, die nicht einmal im Traum genügend zum Überleben besitzen dürfte.
    Irgendwie demütigend.
    Irgendwie verrückt.
    Aber Elia vertraut!
    Er vertraut, dass Gott ihm den Tisch decken wird.

    Perspektivwechsel:
    Nun schauen wir uns die Geschichte aus dem Blickwinkel der Witwe an.
    Wir wissen nicht, wie sie heißt. Aber wir wissen, sie hat einen Sohn und sie wohnt in Sarepta, was in Sidon liegt.
    Sie ist also keine Israelitin. Sie gehört zu dem Volk, dass den Wettergott Baal anbetet.
    Und sie leidet darunter, dass dieser Wettergott Baal seinen Job nicht tut.
    Es hat seit Wochen und Monaten nicht geregnet.
    Die Saat auf den Feldern ist nicht einmal aufgekeimt, sie ist gleich verdorrt.
    Die Menschen leben nur noch von ihrem Vorräten.
    Und sie, die Witwe?
    Von welchen Vorräten soll sie schon leben?
    Es gibt keine Versicherungen, kein Sozialsystem in Sidon.
    Im Nachbarland Israel sind die Menschen angewiesen den Witwen und Waisen zu helfen. Von allem ein bisschen abzugeben. Aber hier in Sidonien gibt es keine Barmherzigkeit.
    Und in Sarepta, was „Schmelzofen“ bedeutet, scheint sogar die Sonne besonders unbarmherzig.

    Der Tag ist gekommen, an dem die Witwe in ihren Mehltopf und ihren Ölkrug schaut.
    Einmal, zweimal: Ja, heute ist der Tag.
    Heute wird sie die letzten kleinen Brotfladen backen.
    Dann sind alle Vorräte an Öl und Mehl aufgebraucht.
    Sie sieht sich und ihren Jungen, wie sie das letzte Brot teilen.
    Er wird das größere Stück bekommen.
    Sie werden schweigend dasitzen und kauen.
    Bitteres Brot.

    Sie sieht es vor sich, ein paar Stunden später, wie er wieder Hunger bekommen wird.
    Er ist ja schon so dürr geworden in den letzten Wochen.
    Sie möchte die Vorstellung beiseite schieben, aber sie kann nicht.
    Die Bilder schleichen sich immer wieder in ihren Kopf:
    Wie er weinen wird, weil sie ihm kein Brot mehr gibt.
    Wie er Schmerzen bekommt.
    Wie er sie fragend ansieht, nicht verstehen kann, warum seine Mama ihm nicht den Hunger stillt.
    Wie er schwach werden wird.
    Wie der Lebensglanz aus seinen Augen verschwindet.
    „Wer wird uns finden?“, schießt es ihr durch den Kopf, „wer wird unsere Körper begraben?“

    Und dann wird sie zornig.
    Geht zum Hausaltar des Wettergottes und schreit ihn an: „Warum tust du das? Warum schickst du keinen Regen? Siehst du nicht das wir verhungern? Ich habe dir immer geopfert, aber jetzt hilfst du uns nicht. Nicht mal der Junge wird durchkommen. Du bist kein Gott!“
    Wütend fegt sie die Götterfigur vom Altar.
    Sie zerbricht in viele Stücke.
    Die Frau erschrickt. ‚Was habe ich getan?‘
    Doch dann denkt sie: ‚Das ist jetzt auch egal.‘
    Sie kehrt die Scherben zusammen, setzt sich hin und weint.
    In ihrem Herzen schreit sie: „Wenn es irgendeinen wahren Gott gibt, dann hilf mir! Ich tue alles, wenn du mich und meinen Sohn vor dem Tod rettest! Schicke mir Hilfe!“

    So ähnlich wird der Tag dieser Frau ausgesehen haben.
    Gott muss ihr irgendwie begegnet sein.
    Denn als er Elia aufgefordert hat, nach Sarepta zu gehen, hat er ihm zugesagt, dass er einer Witwe befohlen hat, Elia zu versorgen.
    Wie sich dieser Befehl genau zugetragen hat, davon ist uns nichts berichtet.

    Nun geht sie hinaus, sie will Holz sammeln für die Backstelle.
    Sie hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.
    Da kommt ein Fremder daher, der ruft ihr etwas zu.
    Sie erschrickt.
    Besuch hat sie wirklich nicht erwartet.
    Wer besucht schon eine Witwe und ihr Kind, die verhungern?
    Es will doch keiner daran erinnert werden, dass da zwei sind, die sterben, wenn man ihnen nichts abgibt.

    Seit Wochen ist niemand mehr vorbeigekommen.
    Sie schaut den Mann skeptisch an. Ein Fremder, wahrscheinlich ein Israelit.
    Er sieht auch nicht so aus, als ob er ihr helfen könne.
    Zerlumpt, ungewaschen. Ausgetrocknet. Das ist der Eindruck, den der Fremde auf sie macht.
    Hoffentlich ist der nicht bösartig!
    Da ruft er ihr zu: „Hole mir doch bitt ein wenig Wasser in einem Gefäß, dass ich trinke.“
    Sie schaut ihn skeptisch an.
    Der hat wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
    Wasser ist unbezahlbar geworden.
    Selbst die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Region ist der Trockenheit in den letzten Wochen zum Opfer gefallen.

    Was wird der Witwe durch den Kopf gegangen sein?
    Ist es Mitleid?
    Resignation?
    Wenn wir eh sterben, dann kann er auch noch einen Schluck Wasser abhaben.

    Oder ist es schon eine Ahnung, dass hier etwas Seltsames passiert?
    Auf jeden Fall geht sie ins Haus, um Wasser zu holen.
    So ermutigt, wird der Fremde dann aber doch ein bisschen frech:
    „Bitte, bring mir auch ein bisschen Brot mit!“

    Sie dreht sich um.
    Sie fasst es einfach nicht:
    „Du weißt gar nicht, was du da sagst!
    Bei deinem Gott, falls es ihn gibt, ich habe nur noch eine Hand voll Mehl und einen Tropfen Öl im Haus.
    Gerade genug, um noch einmal zu kauen.
    Und ich habe einen Jungen, der liegt im Bett, ist krank und abgemagert, und ich werde jetzt für ihn und mich Brot backen, und dann essen wir das zusammen und dann sterben wir.“

    Der Fremde ist nicht entsetzt, er entschuldigt sich nicht.
    Er bedrängt sie auch nicht.
    Sondern er sagt wieder so etwas Aberwitziges:
    „Fürchte dich nicht!
    Tue, was du vorhattest.
    Aber zuerst backe mir den Brotfladen und bring ihn mir heraus.
    Dann kannst du in dein Haus gehen und dir und deinem Sohn etwas backen.
    Denn mein Gott, der wahre Gott, den es wirklich gibt, lässt dir sagen:

    Dein Mehl im Topf und dein Öl im Krug werden nicht ausgehen, solange diese Hungersnot anhält. Bis es wieder regnet, wirst du immer genug haben. Ihr werdet nicht verhungern.“

    Was wird der Frau wohl durch den Kopf gegangen sein?
    In diesem Moment…?

    Irgendwie muss Gott diese Frau vorbereitet haben.
    Eine Mutter hätte sonst niemals einem Fremden das Brot ihres Kindes gegeben.
    Gott muss ihr Hilfe zugesagt haben obwohl sie diesen Gott nicht kennt.
    Mit dem alten, der in Scherben liegt, hat sie keine guten Erfahrungen gemacht.
    Sie kennt diesen zerlumpten, unverschämten Mann nicht, der da vor ihr steht.
    Wie soll sie ihm glauben?
    Was, wenn er nicht die Wahrheit sagt?
    Was, wenn er lügt, um an ihr Brot zu kommen? Und sie dann mit leeren Händen dasteht.
    Was wird aus dem Jungen, der in seinem Bett auf sein letztes Brot wartet?

    Es ist Wahnsinn!
    Was soll sie tun?
    Sie setzt alles auf eine Karte. Sie geht hinein und bereitet dem Mann seinen Brotfladen zu.
    Die ganze Zeit gehen ihr dieselben Fragen, dieselben Ängste und Phantasien im Kopf herum.

    Das Brot ist fertig.
    Sie geht an der Kammer des Sohnes vorbei.
    „Nein!“, schreit ihr Herz.
    Doch sie geht weiter.
    Mechanisch setzt sie einen Fuß vor den anderen.
    Reicht dem Mann das Gefäß mit dem Wasser – und – das letzte Brot.

    Er bedankt sich.
    Nickt mit dem Kopf zum Haus hin. „Geh wieder rein. Backe dir und deinem Sohn etwas!“
    Sie dreht sich um, sie traut sich kaum zu gehen.
    Mit jedem Schritt wächst die Angst.
    Was wird sie finden?
    Hat er sie betrogen?
    Ist sie nur eine dumme Frau, die zu beschränkt ist, sich und ihren Sohn angemessen zu verteidigen?

    Sie geht hinein, geht zur Feuerstelle.
    Nimmt den Topf vorsichtig in die Hand, blickt mit Herzklopfen hinein.
    Ihr Herz setzt einen Schlag aus.
    Da ist Mehl! Da ist wieder Mehl drin!
    Sie greift nach dem Krug, schaut nocheinmal ungläubig hinein und beginnt zu – lachen.
    Sie lacht und lacht und lacht. Sie kann nicht mehr aufhören.
    Die Anspannung der letzten Wochen fällt von ihr ab, zusammen mit der Todesfurcht.

    Der Junge ruft aus der Kammer. Sie läuft hin, lachend.
    Hebt ihn hoch und trägt ihn in die Küche.
    Seine Augen werden größer und größer, als er in die Gefäße schaut und auch er lacht mit ihr.
    Seine Augen bekommen wieder Leben.
    Die Frau backt Brote. Viele Brote.
    Sie holt den Fremden von draußen ins Haus.
    Zusammen essen sie.
    Die Witwe, ihr Sohn und der Mann Gottes bis sie nicht mehr können.
    Und immer noch ist Mehl im Topf und Öl im Krug.
    Das Herz der Frau ist randvoll mit Dankbarkeit.
    Sie weiß es ganz fest in ihrem Herzen:
    Mehl und Öl werden nicht mehr ausgehen, bis die Hungersnot vorbei ist.
    Sie werden überleben – sie werden leben!
    Denn der wahre Gott, der Gott der Israeliten ist mit ihnen, und er hat es ihr versprochen.

    Elia und die Witwe … was beide besonders auszeichnet ist ihr Vertrauen.
    Vertrauen auf Vorschuss.
    Vertrauen ohne zu wissen, ob es belohnt wird – oder ob sie bitter enttäuscht werden.
    Und das in Situationen, die so existentiell sind.

    Vertrauen auf Vorschuss… eigentlich geht das doch gar nicht anders.
    Sonst ist Vertrauen ja kein Vertrauen.
    Und doch, wer von uns hat ein solches Vertrauen?

    Ich weiß nicht, ob ich auf Gottes Wort hin zum Bach Kerit gegangen wäre – ohne mich noch auf etwas anderes zu verlassen…
    Ich weiß nicht, ob ich nicht enttäuscht gewesen wäre, als der Bach versiegte und die Raben nicht mehr kamen.
    Ich weiß nicht, ob ich es geglaubt hätte, wenn Gott mir gesagt hätte, dass mich jemand versorgen wird, der selbst nichts hat.
    Ich weiß nicht, ob ich mein letztes Brot, das Brot meiner Kinder, abgegeben hätte, nur weil jemand sagt, es werde schon neues Brot da sein.

    Vertrauen auf Vorschuss – also wirkliches, echtes Vertrauen.
    Vertrauen auf den wahren Gott, der mir helfen kann, wenn es sonst keiner mehr kann.
    Ich glaube, die meisten von uns wollen Gott gerne so vertrauen.
    Aber es ist echt schwierig, so zu vertrauen.
    Und man kann ein solches Vertrauen nicht erzwingen.
    Auch nicht in sich selbst.

    Aber man kann es wagen.
    Und es kann einem geschenkt werden.
    Vertrauen wächst, wenn wir gute Erfahrungen machen.
    Wenn wir immer wieder erfahren: auf Gott kann ich mich 100% verlassen.
    Er lässt mich nicht im Stich.
    Er sorgt für mich.
    Gott sehnt sich danach, dass wir ihm vertrauen.
    Er will uns mit Vertrauen segnen und beschenken.
    Er will für uns sorgen und uns einen Tisch decken.

    Egal wie die Not aussieht.
    Er will unseren Mangel beseitigen, denn er hat im Überfluss und er gibt dir gerne im Überfluss.

    Er lädt uns ein:
    Mein Kind, vertraue mir.
    Amen

  • Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten – Predigt zu 1. Korinther 1, 18-25

    Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten – Predigt zu 1. Korinther 1, 18-25

    Gottesdienst in Neckartenzlingen am 04. Juli 2021 – Predigttext: 1. Korinther 1, 18-25

    Wir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 23

    Dieser Satz ist eine Kampfansage.
    Ein gekreuzigter Gesalbter Gottes, ein gekreuzigter Christus.

    Damit widerspricht Paulus allen Träumen, allen Träumen der Religion von Stärke und Überlegenheit.
    Er sagt auch ganz deutlich: Das Wort vom Kreuz ist für die einen eine Torheit, Unfug und für die anderen ist es schlichtweg dumm.

    Wir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 23
    • ein Skandal für die Frommen in Israel
    • ein Unsinn für die Griechen

    Was meint Paulus damit?
    Was ist das, dieses Wort vom Kreuz?
    Und warum wird ihm so heftig widersprochen?

    Der Traum von der Stärke

    Da ist zuerst der Traum von der Stärke. Jedes Kind träumt ihn. In Israel wird gesagt: „Wir sind schwach und unterlegen, aber Gott kann alles. Der Messias, der wird alles gut machen. Der wird alles richten. Der wird mit gewaltiger Hand dreinschlagen und uns zu unserem Recht verhelfen.“

    Jesus und Paulus legen hier Widerspruch ein.
    Als Jesus seinen Jüngern sagte: „Mein Weg führt ans Kreuz“(Mt 16, 21-26), da ruft Paulus ganz ohne Nachdenken und aus vollem Herzen: „Nein, oh, nein, das darf auf keinen Fall passieren. Gott bewahre dich davor!“ Aber Jesus dreht sich um zu Petrus und sagt: „Weiche von mir Satan. Du denkst so wie die Menschen denken und nicht wie Gott denkt.
    Bei den Freunden Jesu selbst fängt es also an: Sie möchten ihn – verständlicherweise – gern stark und mächtig sehen. Darum verstehen sie Jesus nicht, wenn er sagt: „Ich werde leiden. Und das ist gut so.“

    Paulus sagt in seiner Sprache:

    Wir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 23

    Die Geschichte vom Leid

    Wir müssen uns die Geschichte, die Leidensgeschichte Jesu, noch einmal genauer anschauen.
    Matthäus erzählt von der Kreuzigung Jesu:
    Alle kommen und schauen zu, wie Jesus da hängt, hilflos und verlassen, seinen Peinigern ausgeliefert.
    Jetzt spotten sie.

    Im Spott sind sie sich einig, die Priester und Soldaten: „Anderen hast du geholfen. Jetzt hilf dir selber. Dann wollen wir auch glauben. Wenn du der Messias, der Gesalbte Gottes bist, dann steig herab vom Kreuz! (Mt 27, 40ff)“
    Sie glauben, einer, der Gott auf seiner Seite hat, der kann nicht am Kreuz hängen.
    Wer Gott auf seiner Seite hat, der kann nicht leiden, der muss nicht leiden.
    Wer Gott auf seiner Seite hat, der muss stark und mächtig sein.
    So denken sie.
    Und sie sind sich einig im Auslachen. Sie sind sich einig im Spott über den Jesus, der am Kreuz hängt.

    Wir lachen Jesus heute so nicht aus. Aber auf den Glauben, dass es den frommen Menschen gut gehen muss, auf den fallen viele immer wieder herein. Außerhalb und auch innerhalb der Kirche.

    Einer, der am Kreuz hängt, hat ausgespielt. Da hat Gott nichts zu suchen.

    Einer , der sich nicht durch Machtzeichen ausweisen kann, der komme nicht von Gott.

    Deshalb ist das Kreuz Jesu – und das Wort vom Kreuz – ein Skandal für viele.

    Und da ist die Angst. Niemand möchte der Dumme sein. Deshalb wird zur Zeit des Paulus bei den gebildeten Griechen nach Weisheit gefragt. Diese beschäftigen sich damit, wie man das Leben durch Klugheit, durch gute Gedanken so einrichten kann, dass man immer wieder gut wegkommt. Eben so, dass man auf keinen Fall der Dumme ist.

    Weisheit, sie soll frei machen von der Welt und ihren Zwängen.
    Diese Sehnsucht nach der Weisheit, die den Hintergrund versteht, diese Lust auf geheimes Wissen, das Menschen zu Überlegenen machen soll, auch die feiert heute fröhliche Wiederkehr. Und wer daran glaubt, an das Wissen und die Weisheit und die Wahrheit und die Macht, der kann nur lachen, wenn Paulus sagt:

    Wir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 23

    Das Wort vom Kreuz

    Das Wort vom Kreuz, das heißt:
    Erzählen und Reden von einem Menschen Gottes, der selber schwach und unterlegen ist und der am Kreuz jämmerlich verreckt.
    Das Wort vom Kreuz ist ein Skandal für die Frommen und ein Unsinn für die Klugen – zur Zeit des Paulus bei den Juden und den Griechen.
    Bei uns ist das nicht anders. Wir müssen uns da nichts vormachen.

    Wenn ich genauer hinhöre, dann merke ich: Diese Botschaft vom Kreuz – sie widerspricht auch mir selbst.
    Ich habe keinen Grund über Menschen zu lächeln, diWir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.e über den Gekreuzigten Christus den Kopf schütteln.

    Ich habe selber etwas in mir:
    – von den Menschen, die Stärke und Macht-Beweise fordern und endlich etwas von der Macht Gottes sehen wollen.
    – und von den Menschen, die nach überlegener Weisheit suchen.

    Paulus schreibt:

    Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 25

    Das ist ein starker Satz.

    Aber ist der auch wahr?
    Da stirbt jemand unter Schmerzen – viel zu jung.
    Und wir fragen: Wo ist da Gott? Warum sehe ich nichts von ihm?
    Und auf einmal geht es mir wie denen, die Paulus Juden und Griechen nennt. Man müsste doch etwas von Gottes Nähe merken. Es müsste doch etwas sichtbar werden. Stärke oder wenigstens ein Sinn.
    Und wir, wir sehen nichts.
    Paulus aber weist auf den gekreuzigten Jesus.

    Kann das sein?
    Ist Gott da, wo wir es uns nicht vorstellen können?
    Ist Gott auch gerade dort, wo wir nicht weiter sehen?

    Matthäus erzählt weiter: Jesus aber schrie laut auf und rief:

    Eli, Eli, lama asabtani? … Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

    Lutherbibel 2017, Matthäus 27, 46

    Am Kreuz betet er den 22. Psalm, der mit diesen Worten beginnt.
    Am Kreuz schreit Jesus nach Gott.

    Jesus stirbt, wie er gelebt hat: mit dem Gotteswort auf den Lippen.
    Jesus stirb im verzweifeltem Vertrauen, dass Gott allein Hilfe ist im Leben und im Sterben.
    Jesus ruft nach Gott und glaubt an Gott. Auch da, wo niemand mehr etwas sieht. Wo Gottes Nähe nicht mehr erfahren werden kann und nicht mehr spürbar ist.

    Das Wort vom Kreuz, das sagt:
    Gott war bei diesem Jesus. Er hat ihn nicht verlassen, dort in der Nacht des Leidens. Im „Nicht-mehr-Können“ und im „Nicht-mehr-verstehen“, da ist Gott da.

    So zeigt Jesus uns einen anderen Gott. Nicht einen Gott der Überlegenen und Starken.
    Nicht einen Gott der Macht und Weisheit und der Religiosistät.
    Nicht den Gott einer Kirche, die großen Einfluss hat und andere ausschließt.

    An Jesus sehen wir den Gott, der da ist bei den Leidenden und Schwachen, so wie bei Jesus am Kreuz.
    Deshalb ist der Gekreuzigte der Retter, der Heiland.

    Erzählen von Gott

    Und nun müssen wir anfangen zu Erzählen von diesem Jesus. Seinem Weg.

    Jesus hat nicht Gottlose fromm gemacht.
    Er ist zu ihnen gegangen und hat gesagt: „Gott hat euch lieb. Kommt, esst mit mir. Folget mir nach“.
    So sind im Jüngerkreis Jesu auch Zöllner und Sünder zu finden.

    Jesus hat nicht gesagt: „Wir helfen nur unseren Freunden.“
    Er erzählt von dem Fremden, der da hilft, wo Priester und Levit wegschauen und nicht helfen.

    Es gibt unendlich viel zu erzählen, was die einen fröhlich und die anderen ärgerlich gemacht hat.
    Die Ärgerlichen, die haben Jesus ans Kreuz gebracht.
    Aber er hat sich nicht gerettet.
    Und er vertraut nicht der Stärke.
    Er sagt im Garten Gethsemane eindeutig:

    Wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen

    Lutherbibel 2017, Matthäus 26,52

    In dem, was es da von Jesu törichter Liebe und von seiner liebenden Schwäche zu erzählen gab, da fange ich an, ein wenig zu begreifen, warum das Wort von dem gekreuzigten Christus ein Glück ist.
    Und ich fange an, ein wenig zu ahnen, was Paulus meint, wenn er schreibt:

    Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

    Wir aber predigen Christrus, den Gekeuzigten.

    Lutherbibel 2017, 1. Korinther 1, 25+23

    So schreibt Paulus.

    An diesem Wort vom Kreuz wird sich eine christliche Gemeinde und ihr Tun und Lassen messen lassen.
    Gott ist auf der Seite der Opfer und der Schwachen.
    Die Liebe, mit der Jesus gelebt hat und gestorben ist, die zählt allein.

    So kann die Predigt vom Kreuz Jesu zur Gotteskraft werden, zur Kraft für die Schwachen.

    Auch zur Kraft für uns.

    Amen.