Langenecks Welt

Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten. – Predigt zu 1. Korinther 6,9-14.19-20

Gottesdienst am 25.07.2021 in Unterensingen

Der Predigttext für heute steht in den Korintherbriefen von Paulus im 6. Kapitel. Und das sind wirklich Briefe (im Unterschied zu anderen neutestamentlichen Schriften in Briefform, die eher theoretische Lehrschreiben sind).

Nein:
Zwischen Paulus und den Christen von Korinth gab es eine lebhafte Korrespondenz hin und her.
Man kannte sich. Und man schonte einander nicht.
Immerhin hatte der Apostel diese Männer und Frauen selbst für den Glauben an Christus gewonnen, sie getauft, ihre Gemeinde gegründet.

Korinth, stelle ich mir vor, war das Amsterdam der Antike. Eine Stadt, schrill, laut, bunt, voller Menschen aus den verschiedensten Kulturen.
Menschen, die exotische Speisen mitbrachten, fremde Lebensweisen.
Götter und Götzen aller Couleur verehrte man hier.
Händler dealten mit allem, was Geld brachte.
Tagediebe übten ihr Gewerbe aus, ebenso wie die vielen Prostituierten der Hafenstadt. Genug wohlhabende Männer, die deren Dienste in Anspruch nahmen, gab es auch. Und dann war da noch die berühmt berüchtigte Tempelprostitution im Aphrodite-Tempel. In Korinth wurde gemäß dem Motto: „Alles ist erlaubt“ gelebt.

Und dem konnten sich offenbar auch die getauften Christen nicht immer entziehen. Paulus hatte jedenfalls Grund, ihnen einige deutliche Worte zu schreiben:

Wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?
Täuscht euch nicht!
Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.
Und solche sind einigen von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes

Lutherbibel 2017 1. Korinter 6, 9-11

Was für eine Liste von Lastern!

Haben die Korinther Christen wirklich ein so verdorbenes Vorleben mitbrachten?
Oder spricht so ein Text eher Bände über seinen Verfasser?

Über Paulus als verklemmten, leibfeindlichen Typen, der offensichtlich ein Problem mit Frauen hatte.
Und der zusätzlich noch ein Problem hatte mit Sexualität, mit der Freude am Essen und einem guten Tropfen… Also mit allem, was Spaß macht.

Und sind es nicht Bibeltexte wie dieser, die jahrhundertelang Verheerendes in den christlichen Kirchen anrichteten? Die schuld sind an der engen Sexualmoral der Kirche.
Die als Rechtfertigung für die physische und psychische Gewalt in evangelischen Einrichtungen und Diakonissenhäusern diente.

Die zu Vertuschung, Machtmissbrauch in kirchlichen Kreisen missbraucht wurde. Die zu einer unbegründeten Homophobie führte. Ja, grundlegend zur Abwertung der leiblichen Seite des Menschseins beitrug.

Ganz unschuldig an diesen Verformungen sind Paulus‘ Texte wohl nicht. Andererseits hat man sie oft auch missverstanden oder missverstehen wollen. Lesen wir weiter.

Paulus an die Korinther:

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.

Luterbibel 2017 1. Korinther 6, 12-13

Alles ist mir erlaubt.

An vier Stellen zitiert Paulus dieses damals unter den Griechen beliebte Motto.
Er lehnt es nicht ab.
Er sagt vielmehr: Ja, stimmt! Für Christen mehr als alle anderen. Wer in Christus lebt, ist frei, alles zu tun. Es gibt keine Verbote. Essen ist Ernährung und keine religiöse Handlung. Und du darfst mit jedem zu Tisch sitzen – Sünder oder gerecht, gläubig oder Heide.

Frei heißt aber auch: Ich bin verantwortlich für mein Tun. Ich muss die Grenzen für mich setzen und entscheiden, was ich vor Gott vertreten kann und wann ich anfange, mich von Dingen gefangen nehmen zu lassen.

Ich muss selbst darauf achten, ob ich im Ausleben meiner Freiheit nicht die Freiheit des anderen einschränke, ihn verletzte, beschäme oder bevormunde.

Auch aus dieser Perspektive könnten wir Paulus‘ Lasterkatalog lesen – nicht von den Tätern her formuliert, sondern aus Sicht der Opfer.

Dann hört es sich womöglich ganz anders an. Dann klingt es so: Niemand soll aus Not zur Prostitution gezwungen sein! Und niemand soll diese Not ausnutzen. Niemand – weder Frau noch Mann, weder Kind noch Erwachsener – darf als Sexualobjekt benutzt werden. Niemand soll geschmäht, gemoppt, durch üble Nachrede verleumdet oder ausgeraubt werden.

Paulus beendet seine Rede nicht ohne eine klare Ansage, was der Maßstab sein soll für unser freies, vor Gott verantwortetes Leben – auch im Umgang mit dem eigenen Körper.

Oder wisst ihr nicht,

dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist,

der in euch ist und den ihr von Gott habt,

und dass ihr nicht euch selbst gehört?

Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

1. Korinther 6,19-20

Von wegen leibfeindlich! Für den Juden Paulus ist Glaube und die Zugehörigkeit zu Christus eine höchst leibliche Angelegenheit.

Der Jude Paulus muss mit dieser Sichtweise bei den griechisch geprägten Korinthern einiges aufgewühlt haben. Denn die Griechen sahen im Körper nur eine Hülle, in der der eigentliche Mensch mit Seele und Geist wohnt. Den einen von ihnen war er störendes Gefängnis und musste möglichst kasteit werden durch Askese und Entsagung. Andere gaben sich zügellosen Ausschweifungen hin in der Meinung, diese körperlichen Dinge hätten ja eh nichts mit ihnen selbst zu tun.

Die Bibel erzählt anders vom Menschen. Sie sieht die Menschen stets in seiner Ganzheit von Seele, Geist und Leib. So handeln und so glauben die Menschen der Bibel immer auch mit ihrem Leib.

Gottes Liebe verkündigen geht nicht ohne Hände, die einander halten. Seine Vergebung weiterschenken geht nicht ohne Augen, die einander sehen. Seine Fürsorge predigen geht nicht ohne Speisung für die Hungernden und Kleidung für die Frierenden, Besuch bei den Einsamen.

Der Gedanke, Glaube könne reine Kopfsache sein, war Paulus vollkommen fremd.

Wie nahe wir ihm da sind, das hat Corona uns gezeigt. Gottesdienst, ohne zu singen, dafür mit Maske und Abstand, ist machbar. Digitale Andachtsformen sind eine bereichernde Ergänzung. Frauenfrühstück über ZOOM eine witzige Erfahrung und der Start ins neues Jahr ohne Sekt und Umarmungen waren besser als nichts.

Und doch! Es lässt sich nicht leugnen, dass uns, als „Gemeinschaft der Heiligen“, eine wesentliche Dimension fehlt, wenn das körperliche, leibhaftige Beisammensein gestrichen wird.

Darum preist Gott mit eurem Leibe.

Ein Mann ging diese Woche durch Radio, Fernsehen und Internet:  Hubert Schilles, der „Baggerheld von der Steinbachtalsperre“, der nicht Held genannt werden will. Achtzehn Meter unter dem Wasserspiegel räumte er mit seinem Bagger bei Lebensgefahr einen zugelaufenen Abfluss der Talsperre frei. Mit 68 und als Chef eines großen Tiefbauunternehmens hätte er auch einen Mitarbeiter schicken können. Aber gerade wegen der Gefahr, so sagt er im Interview, musste er den Job selbst machen. Und fügt hinzu: „Mit Hilfe von Gott hat das gut funktioniert. Ich bin ein gläubiger Mensch. Du Herr, musst wissen, was passiert`, habe ich gesagt. Und ich hatte keine Sekunde Angst.“ Wenn das kein Beispiel ist, wie ein Mensch seinen Schöpfer preist! Nicht nur mit Worten und Gedanken, sondern mit seinem Leib.

Was nehmen wir aus unserer Begegnung mit Paulus und seinen korinthischen Christen in die kommende Woche mit?

Gott mit dem Leib preisen.

Den Gedanken nehme ich mit und damit verbunden die Anregung, den christlichen Glauben ohne Scheu noch mehr als ein leibliches füreinander-Dasein zu leben. Wer krank ist, alt oder gebrechlich, wird das Gefühl teilen, dass der Körper zum Gefängnis werden kann. Er braucht unser tatkräftiges Mit-Zupacken, unseren liebevollen Blick und manchmal einen stützenden Arm.

Mein Leib – ein Tempel des Heiligen Geistes.

Auch das nehme ich mit. Warum nicht dem Schöpfer bewusst auch einmal Danke sagen;  dafür, dass ich einen Körper habe, der mich alles im Leben, das Schöne wie das Schmerzliche, sinnlich erfahren lässt. Dass ich Hände habe, die ich reichen kann.
Ein Geschenk ist das – vor allem in Pandemiezeiten. Dass ich Beine habe, die gehen, laufen und Rad fahren können. Dass ich atme, singe, die Lungen sich füllen, das Zwerchfell sich spannt. Danke, Gott, für meinen Körper!

Und das dritte, was ich mitnehme: Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten.

Einmal wieder verstärkt darauf achten:
Was tut meinem Körper eigentlich gut? Und was nicht? Wo bin ich in Anhängigkeiten, aus denen ich mich mit Gottes Hilfe gern befreien möchte? Und: Wie möchte ich als ganzer Mensch mit Geist, Seele und Leib mit anderen in Beziehung treten? Dass ich, soviel an mir liegt, niemanden herabsetze, bedränge oder für meine Wünsche in Besitz nehme. Dass ich in jedem Mitmenschen ein von Gott geheiligtes Leben sehe. Ein Leben, das leben will, selbstbestimmt, wertgeschätzt und frei.

Amen

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